Spremberg
(mk). Ich muss da raus. Ich muss zur Ruhe kommen.
Das sind Egon Wochatz Gedanken, als er im Jahr 1980 Abschied vom
Lehrerberuf nimmt. Die Scheidung liegt in der Luft. Er muss sein
Alkoholproblem in den Griff bekommen. Das Verlassen des Schuldienstes
wirft jedoch eine Frage auf: Was nun? Der damals 44-Jährige
muss sein Brot verdienen - nicht einfach, wenn man allein den
Beruf des Lehrers erlernt hat.
Mädchen für alles
Nach Startschwierigkeiten beginnt der berufliche und private Neuanfang
von Egon Wochatz 1983 in einem Spremberger kirchlichen Altersheim.
Wie beim Lehrerberuf hilft ihm auch hier ein Bekannter, der weiß,
dass das Heim jemanden sucht. Da wärst du versorgt,
sagt er.
Im Altersheim ist Wochatz nach eigener Aussage Mädchen
für alles. Er ist Fahrer, da er der Einzige ist, der
eine Fahrerlaubnis hat, aber auch als Hausmeister oder in der
Küche ist er tätig. Im Keller des Altersheimes hat er
ein Dienstzimmer, das er auch als Wohnung nutzt, da seine Einzimmerwohnung
in Spremberg nicht beheizbar ist. Egon Wochatz ist dankbar, dass
es zu der Zeit Menschen in seinem Leben gibt, die ihm helfen,
auf die Beine zu kommen und auf den Beinen zu bleiben. Diese Beine
sollen ihn in die Nähe Berlins tragen, da ihm und seiner
zweiten Frau, die ebenfalls im Altersheim arbeitet, angeboten
wird, ein Altersheim zu führen. Da sich die jüngsten
Kinder in einer wichtigen Phase der örtlichen Berufsausbildung
befinden, lehnt Wochatz das Angebot ab. Sein behandelnder Arzt
gibt ihm folgenden Rat: Sie müssen schauen, sich weiterzuentwickeln.
Obwohl Egon Wochatz die Arbeit im Altersheim als sozialen Dienst
empfindet, wird sich auch der 45-Jährige bewusst, dass er
für die 15 Jahre bis zur Rente eine Veränderung braucht
- eine, die ihn geistig ausfüllt.
Der Kreissekretär
Im Jahr 1986 wird Egon Wochatz Kreissekretär der CDU. In
diese Partei ist er 1968 nach seinem ersten Verweis eingetreten.
Die Spremberger Kreisleitung besteht aus ihm und einer Sekretärin.
Natürlich hat die SED das Sagen. Die CDU bemüht sich
neben ihrer Mitarbeit in den Gemeindevertretungen einfache Probleme
vor Ort, wie die Sanierung eines Dorfkonsums oder Bushäuschens
zu lösen. Auch deutsche Soldatenfriedhöfe werden gepflegt.
Im Jahr 1989 änderte sich alles. Wochatz merkt, wie viele
andere Bürger auch, dass etwas in der Luft liegt und die
Zeit nach Reformen verlangt. Reisefreiheit und eine bessere demokratisch
strukturierte DDR - das ist das Ziel des Kreissekretärs.
Dafür drückte er noch einmal so etwas wie eine Schulbank.
Ein CDU-Mitglied hat einen Cousin, der an der Freien Universität
Berlin lehrt und von dem Wochatz und andere Mitglieder sich im
Oktober 1989 zum Thema Marktwirtschaft schulen lassen. Die Zeit
überrollte ihn mit seinen Zukunftsgedanken.
Am 28. Oktober 1989 gibt es in Spremberg die erste Demo. Wochatz
marschiert nicht an erster Stelle. An erster Stelle nehmen vor
allem Vertreter der Kirche teil. Egon Wochatz erinnert sich an
Kerzen in Gläsern, die in den Händen getragen werden.
Der Kandidat
Am 18. März 1990 ist die letzte Wahl zur Volkskammer der
DDR. Sieger wird das Wahlbündnis Allianz für Deutschland,
welches aus der ehemaligen Blockpartei CDU mit dem Spitzenkandidaten
Lothar de Maizière, der neu gegründeten Deutschen
Sozialen Union (DSU) und dem Demokratischen Aufbruch (DA) besteht.
Die CDU ist so stärkste Partei. Das ist auch nach der Kommunalwahl
im Mai 1990 in Spremberg so. Hier muss sich das neue Stadtparlament
bis zum 6. Juni, also innerhalb von vier Wochen, konstituieren.
In dieser Zeit muss auch ein Bürgermeister her. Die anderen
Parteien stellen keinen Kandidaten auf. Wochatz sagt heute, dass
die anderen wohl gedacht haben, das Bürgermeisteramt steht
der stärksten Partei zu. So hat die CDU die Aufgabe, einen
Kandidaten zu finden. Doch niemand sagt zu. Entweder wollen die
Angesprochenen nicht oder sie erweisen sich für eine Kandidatur
als ungeeignet. Letztendlich wird Wochatz selbst vom Stadtverband
der CDU vorgeschlagen. Obwohl er eigentlich Schulrat werden wollte,
sagt er zu. Er hat geglaubt, sich als Schulrat bei denen revanchieren
zu können, die ihm 1968 einen strengen dienstlichen Verweis
ausgesprochen haben. Ein unchristlicher Gedanke, gibt Wochatz
heute zu. Am 31. Mai 1990 erfolgt dann die Wahl. Am 1. Juni um
7 Uhr sitzt Egon Wochatz als Bürgermeister der Stadt Spremberg
im Rathaus.
Der Bürgermeister
Ich war der letzte Bürgermeister der DDR und der erste
der neuen Zeit, sagt Egon Wochatz heute. Was auf ihn als
Bürgermeister für Aufgaben zukommen, weiß er noch
nicht. Er sieht zunächst die Pflicht, es eben zu machen.
An seine erste Parole kann er sich noch gut erinnern. Mit
uns. Mit mir für Spremberg, hieß sie. Was auf
Egon Wochatz als Bürgermeister zukommt und was er heute macht,
lesen Sie nächste Woche im dritten und letzten Teil der Porträtserie.
Teil
1 der Porträtserie
Teil 3 der Porträtserie
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Bei
uns einkaufen wie im Westen. Diese Parole konnte Spremberg
Anfang September 1990 ausrufen, da sich hier auf Initiative der
Stadt der erste Lebensmitteldiscounter (Penny) im Bezirk Cottbus
angesiedelt hat. Mit Bussen kamen die Einkaufenden auch aus Weißwasser
oder Hoyerswerda. Egon Wochatz läutete die neue Einkaufszeit
in Spremberg mit einer Rede und einer Glocke ein
Foto: Werner Arlt
Egon Wochatz
im Bürgerhaus mit Blick auf den Marktplatz vor Sonnenuntergang.
Auch wenn er heute nicht mehr Bürgermeister ist, setzt er
sich im Stadtparlament für seine Überzeugungen ein.
Derzeit arbeitet er an einem Kompromiss-Vorschlag zum Strittmatter-Jubiläum,
den er am 11. Januar im Kultur- und Bildungsausschuss vorstellen
will Foto:
M.K.
Ich war der letzte Bürgermeister
der DDR und der erste der neuen Zeit.
Zitat Egon Wochatz
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