Folgen: aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Hitler mit Himbeeren
Nick Whitbys „Sein oder Nichtsein“ in der Regie von
Mario Holetzeck malt Überlebens-Künstler

Cottbus. Sie wollen dieses Hitler-Stück, diese Persiflage auf noch immer nur grotesk und nicht gefährlich erscheinendes Nazitum spielen. Vor Bildern von propagandistischer Wucht tänzeln sie in schwarzen Uniformen und führen den polnischen Judenjungen als strammen Pimpf und Elternverräter vor. Die Welt bekommt er geschenkt vom Führervolk. Aber dann wird nichts draus: Warschaus Zensur streicht das Stück, schließt das Polski-Theater. Die Komödianten müssen Überlebens-Nazi-Rollen lernen und spielen. Es ist Krieg. Es menschelt, es kracht, es brennt, es wird gelacht, geweint, intrigiert, gefoltert und gemordet. Grauen als Komik.
Nick Whitby hat die Komödie „Sein oder Nichtsein“ nach einem gleichnamigen Hollywood-Film von Ernst Lubitsch geschrieben, der ein Meisterwerk zur falschen Zeit war. Die USA traten eben in jenen Krieg ein und mochten über laufendes „Heil Hitler!“ nicht lachen. Das muss das Publikum aber, denn es ist urkomisch, geradezu genial. Nicht vielleicht damals in Amerika, aber hier bei Mario Holetzeck. Der sucht subtil nach den Empfindungen dieser Menschen, dieser geradezu übersensiblen Schauspieler, die ausgefüllt sind mit ihren Zwistig- und Eitelkeiten. Sie sitzen beinebaumelnd auf der Rampe, naschen von Himbeeren und ein bisschen vom Hitler, lesen Klatsch im Blatte und nehmen die übergroßen Titel-Lettern nicht wahr: Krieg! Holetzek entfacht viel Bewegung, um den Momenten Gewalt und Zärtlichkeit zu geben. Aus allen Türen und Luken kommen und gehen die Darsteller, einer fällt sogar mit den Schneeflo-cken durchs zerbombte Theaterdach. Trotzdem bleibt zwischen Kostümstangen kuschelnde Geborgenheit, klagt melancholisch das Akkordeon von Grzegorz Klemba, der zum wirklich tragenden Regieeinfall (neben vielen anderen) wird.
Den Wechsel von Spiel und Spiel im Spiel markieren stark kontrastierende Bilder (Gundula Martin) und durch die Jahrhunderte von Shakespeare bis in die Warschauer Gestapo-Zimmer führende Kostüme von Susanne Suhr.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht das Schauspielerpaar Tura. Oliver Breite macht den Josef zum selbstverliebten Sensibelchen. Seine knabenhafte Eitelkeit steigert sich zu wirklichem Mut, wenn es ums (Über-)Leben geht. Breite in Hochform. An seiner Seite ein neues Gesicht: Kristin Muthwill, aus Konstanz zum festen Ensemble gestoßen, gibt ihr Cottbus-Debüt als Diva, gerissen und verführerisch. Ihre Maria überzeugt in all diesen schwierigen Lebenslagen zwischen Nazi-Spiel und Nazi-Sein. Herrlich, wie sie zum jungen Fliegeroffizier (Michael von Bennigsen) gerissen wird und dann doch die Würde oder Treue wahrt. Ihre „Lilli Marlen“ richtet sich sanft nach innen, nicht an arme Schweine in Schützengräben.
In der Anti-Nazi-Kampftruppe formen Kai Börner, Laura Maria Hänsel und Thomas Harms eindrucksvolle Figuren, während Jochen Paletscheck (neu im festen Ensemble, aus Altenburg/Gera kommend) als ihr Direktor etwas blass bleibt. Sigrun Fischer gibt der kleinen Garderobieren-Rolle große Auftritte, und Rolf-Rüdiger Gebert kennzeichnet mit extatischen Tennis-Aufschlägen vom Schreibtisch aus das Führer-Format eines Gestapo-Häuptlings.
Es gibt viel zu lachen in diesen drei „Sein oder Nichtsein“-Stunden. Die enden übrigens in London, wo die Truppe den Hamlet nun auf Polnisch spielt.
Nächste Vorstellungen sind am
10.11., 22.11. und 19.12.2013.
Jürgen Heinrich


Bilder von propagandistischer Wucht, Menschen aus Mut, Witz und Zerbrechlichkeit: „Sein oder Nichtsein“ mit Laura Maria Hänsel, Kai Börner und dem Jungen Adrian Rocksch. Die Bühne entwarf Gundula Martin
Foto: Marlies Kross

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