Region.
Der Spremberger Georgenberg erwies sich dieser Tage als passender
Ort, über Deutschland und die Lausitz zu diskutieren. Mit
Menschen, die nach Verantwortung streben. Wer sind diese Frau
und die sechs Männer? Ein Gefühl für ihre Persönlichkeiten
zu bekommen, ihre Botschaften zu erkennen - das war Anliegen einer
öffentlichen Runde des Märkischen Boten und des Spremberger
Stadtfernsehens Kanal 12. Frank Heinrich und Michael
Walter moderierten einen spannenden Abend.
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Nicht nur politisch ist die Herkunft der Kandidaten, die diesen
Sonntag hier in der Lausitz in der linken Spalte (für Ihre
Erststimme) auf den Wahlzetteln stehen, höchst unterschiedlich.
Drei haben Heimvorteil. Das gilt vor allem für Dr. Klaus-Peter
Schulze (59, CDU), der zwar in Döbern wohnt, aber in Spremberg
seit elf Jahren Bürgermeister ist. Mit so großem Erfolg
(94 Prozent bei der Wiederwahl 2010!), dass ihn manche Spremberger
nur schweren Herzens nach Berlin schicken wollen. Aber er hat
überzeugt: Fundiertes Kommunalwissen sei im Bundestag unterrepräsentiert.
Der Vater dreier Kinder und promovierte Biologe will das ändern.
Verwurzelt in der Perle der Lausitz ist gleichermaßen
Birgit Wöllert (62, Die Linke), die 1979 wegen des Kupfers
nach hier kam. Geboren wurde sie am Rhein, als Siebenjährige
kam sie mit ihren Eltern in die DDR. Später wurde sie Lehrerin,
ab 2004 Landtagsabgeordnete. Wie ihr Bürgermeister, hat sie
sich erprobt in der Basisdemokratie im Stadtparlament und im Kreistag.
Demografisch gehe bei ihr alles in Ordnung, scherzt sie: Ihr Stolz
sind zwei Kinder und vier Enkel.
Uli Freese (62), deutschlandweit angesehener Gewerkschafter, verkürzt
seine Biografie gern in dem Satz: Am Niederrhein geboren,
im Ruhrgebiet groß und in der Lausitz stark geworden.
Mit seiner Frau und drei Söhnen kam er nach Spremberg, fühlt
sich hier als liebevoller Großvater und streitbarer Mann
der Kohle und der Industrie wohl. Platzeck sagt über ihn:
Gestritten hab ich mit ihm heftig, aber ich kenne
keinen, der verlässlicher ist. Er war Abgeordneter
im Brandenburgischen Landtag und gehört seit 2008 dem Spree-Neiße-Kreistag
an - für die SPD, deren Mitglied der Bergmann schon 1970
wurde.
Da war Sascha Kahle (27, Piraten) noch lange nicht geboren. Während
der Talkrunde geht Uli Freese nach hinten, holt Wasser, und gießt
zuerst dem Jungen ein. Niemandem fällt das auf. Aber Väter
und Söhne verhalten sich heute genau so. Sascha Kahle, gelernter
Veranstaltungsmanager, bedankt sich, hört aufmerksam zu,
sagt: Der Gesellschaft täten die Piraten gut.
Der Lehrersohn aus Neupetershain entschied sich zu spät zur
Kandidatur und hat daher keinen Listenplatz. Er glaubt auch nicht,
dass er den Wahlkreis gewinnt, aber dass junge Menschen politisch
aktiv sind, das will er befördern.
Auch der hörbare Bayer Wolfgang Renner (55, Grüne) weiß:
Dass ich gewinne, glaubt keiner. Er wirbt für
Grüne Zweitstimmen. Tierfilmer oder Strafverteidiger waren
alternative Träume, denen er ein Stück nachstudierte.
1991 kam er in den Osten und blieb gleich hier, wohnt mit Partnerin
und zwei Kindern in Byhleguhre und leitet seit 2007 den Naturpark
Schlaubetal. Im Grünen Landesvorstand sind Ökologie
und Braunkohle seine Themen.
Zwei der Diskutanten sitzen schon im Bundestag und möchten
da bleiben. Prof. Martin Neumann (57, FDP) hat Listenplatz 1 seiner
Partei in Brandenburg. Niemand zweifelt, dass die FDP im Bundestag
sein wird, und so scheint sein Mandat sicher. Ich kämpfe
um jede Stimme, sagt der Vetschauer, Vater zweier erwachsener
Söhne und Präsident des Landesblasmusikverbandes. Er
ist ein Macher. Deshalb gehört er mehreren Kuratorien, Stiftungen
und Verbänden an - solchen die mit Musik, aber auch mit Jugendbildung
und Förderung der Wissenschaft zu tun haben.
Aus Lübeck kommt der Jurist Wolfgang Neskovic (65, parteilos),
der Richter am Bundesgerichtshof war, ehe er sich auf eine Bundestagskandidatur
für Die Linke einließ. Gegen den damals aussichtsreichen
Gründer der ostdeutschen SPD, Steffen Reiche, holte er hier
das Direktmandat und will den Coup wiederholen - diesmal als erster
Parteifreier in der bundesdeutschen Geschichte.
Die Linken, sagt er, haben ihre Wahlversprechen gebrochen, daher
wolle er nicht nochmals auf dieses Ticket setzen. Neskovic ist
verheiratet, hat zwei Kinder und engagiert sich in Lübeck
in verschiedensten Bürgerschaften und Gremien.
Soviel scheint sicher: Jeder dieser Kandidaten hat das Format,
Bundespolitik mitzugestalten. Was unterscheidet sie?
Gesundheitspolitik
In der Lausitz wird die Gesundheitsversorgung zum Dilemma. Nur
Privatpatienten sind noch gut dran. Privatversicherung also für
alle?
Neumann: In der Gesundheitspolitik gibt es viele Baustellen:
Demografie, Finanzierungslü-cken und anderes. Eine Einheitskasse
löst keines der Probleme.
Freese warnt vor Privatversicherung: Wer darin alt
wird, zahlt sich dann krumm. Weiter: Wir brauchen den einheitlichen
Gesundheitsmarkt.
Wöllert ruft Bismarck an: Seine Idee - alle zahlen
ein, die Gesunden für die Kranken. Ein Solidarprinzip. Wir
haben die Bürgerversicherung durchgerechnet. 10,5 Prozent
vom Einkommen reicht als Beitrag, je 5,25 Prozent vom Arbeitnehmer
und Arbeitgeber.
Renner spricht vom Lobbyismus: Privatkassen sind
für Ärzte eingeführt worden. Im ländlichen
Raum fehlen gut zahlende Patienten, die Ärzte wandern in
Ballungsräume, wo sie gut verdienen. Das flache Land ist
für sie unattraktiv.
Neskovic: Wir hatten eine rot-grüne Regierung,
die hat das Einleuchtende nicht gemacht.
Schulze: Die kassenärztliche Vereinigung soll steuern.
Das teure Medizinstudium zahlt der Staat; der Bürger darf
erwarten, dass Ärzte arbeiten, wo sie gebraucht werden.
Der NSE-Skandal
Kahle ist vom Ausmaß des Datenskandals schockiert.
Das viel zu technische Thema, findet er, sei den Menschen im Alltag
nicht vertraut.
Neskowic wettert vom Verfassungsverstoß. Die
Kontrolle der Dienste ist ein Witz nennt er Erfahrung. Gremien
haben keine Befugnisse.
Schulze: Datenschutz wird kommunal sehr ernst genommen.
Ich setze mich für Datenschutz für die Deutschen ein.
Mindestlöhne
Freese: Klar dafür. Die gefährden nicht
die Spremberger Friseuse. Vertreter der Arbeitgeberverbände
und Gewerkschaften sollen mit Wissenschaftlern die Tarife jährlich
anpassen. Wer arbeitet, soll gut davon leben können.
Neumann ist für starke Tarifpartner, die Mindestlöhne
vereinbaren können.
Neskovic: Was? Die FDP als Freund der Gewerkschaften?
Das ist Märchenkiste!
Renner kritisiert Werkverträge, die Hungerlöhne
ermöglichen. Mindestlöhne führen seiner Meinung
nach nicht zu Betriebsabwanderungen. England hat Mindestlöhne...
Moderator: ...aber keine Industrie mehr.
Die Rentenfrage
Kahle: Alle zahlen ohne die unsoziale Bemessungsgrenze
nach oben ein.
Wöllert: 1050 Euro ist die Pfändungsgrenze. So
viel wenigstens sollte jedem Rentner zustehen.
Kohle und Spree
In der Frage der Braunkohlenverstromung nähern sich die Positionen.
Mit Hinblick auf die braune Spree wird deutlich, so Neskowic,
dass neue Tagebaue neue Gewässerbelastung verursachen. Viel
Geld - sagen alle - muss bereitgestellt werden, um die Spree wieder
klar zu erleben.
Während Neskowic und Renner, bedingt auch Wöllert der
Kohlewirtschaft aber keine Zukunft geben, will vor allem Freese
diesen und andere Industriekerne stärken.
Keinesfalls Rechts
Klare Übereinstimmung erreichen die Kandidaten bei ihrer
Position gegen Rechts. Keiner will diesen Rand im Bundestag. Deshalb
ist es eine Sache der Vernunft, zur Wahl zu gehen.
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Das Interesse,
die Standpunkte der Kandidaten in Rede und Gegenrede zu ergründen
und auch eigene Fragen an sie zu richten, war sehr groß
im Spremberger Hotel Georgenberg. Der Märkische
Bote und das Stadtfernsehen Kanal 12 hatten gemeinsam
zu dieser öffentlichen Runde eingeladen. Für drei Kandidaten
war es ein Heimspiel Fotos:
J. Heinrich
Von l. nach r.: Moderator Michael Walter (K 12), Sascha Kahle
(Piraten), Uli Freese (SPD), Prof. Martin Neumann (FDP), Wolfgang
Neskovic (parteilos), Wolfgang Renner (Bündnis 90 / Die Grünen),
Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU, Birgit Wöllert (Die Linke),
Frank Heinrich (Moderator für den Märkischen Boten)
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