STADTHAUS
wird es nun heißen, das rätselhaft-schöne Backsteinhaus
in verfrühtem Stil neuer Sachlichkeit mit Barockzitat und
verspieltem Kreuz. Nein, eine Kirche war das nie, aber doch, ganz
ähnlich, ein evangelisches Versammlungshaus. Dem Zweck ungezwungener
Geselligkeit hat es nur selten wirklich dienen können; nun,
100 Jahre nach der Grundsteinlegung soll es der Stadt Glück
bringen und Hort ihrer Zukunft sein. Hier werden ab Januar 2013
die vom Volke gewählten Männer und Frauen über
das Wohl und Wehe der Stadt entscheiden. Aus dem Saal Altmarkt
21 ziehen die Stadtverordneten unter die hölzerne Tonnendecke.
Ihre Stühle und Tische nehmen sie mit zu identischer Fraktionsordnung
im Halbkreis. Sonst wird alles anders. Statt des zu straffer Ordnung
mahnenden Stadtkrebses stehen den Volksvertretern zwei tüdelige
Hirsche vor Augen, die sich gar nicht, wie es der Psalm dazu verspricht,
durstig zum Brunnen recken, der wie eine vergessene Meldekorn
-Flasche aussieht. Ob das künftige Versammlungen inspiriert...
Das einst in schier unbegrenzter räumlicher Großzügigkeit
konzipierte Haus bietet jetzt gerade noch bescheidene Räume
für die Fraktionen und das Stadtverordneten-Büro, dazu
zwei sachlich-kühle Zimmer fürs Standesamt. Das heißt:
Kühl wirkt die Optik; ansonsten steckt überall Fußbodenheizung
unterm Parkett, der Raum zwischen Tonnengewölbe und Dach
ist vollgepfropft mit Lüftungstechnik und in Kanälen
laufen unermessliche Kabelkilometer modernster Konferenztechnik,
die von einem schreibheftgroßen Tastschirm mobil zu steuern
ist. Eine Symbiose aus spätkaiserlicher Bauinspiration und
moderner Nutzart, die ihren Preis hat: 4,9 Millionen Euro (davon
2,7 hälftig von Bund und Land als Städtebauförderung)
sind nach fehlerhafter Privatsanierung nochmals ins Haus geflossen.
Übrigens: Die großen Fenster, sind vielleicht das Gefälligste
am Objekt; ohne sie würde die düstere Farbhaltung Beklemmungen
bewirken.
Am Sonnabend, dem 12. Januar, ab 10 Uhr ist Tag der offenen Tür
im Stadthaus. Für den ersten möglichen Hochzeitstermin
im Standesamt am 14. Januar 2013 gibt es noch keine Vormerkung.
Oder doch?
Der große Saal - hier ein Blick von der Bühne zur Empore
- wird durch das hölzerne Tonnengewölbe mit dem untergezogenen
Tragwerk (seit dem Umbau funktionslos) geprägt. Über
der Bühne frömmelt eine künstlerisch nicht eben
wertvolle Allegorie zu Psalm 42: durstige Hirsche als bildlicher
Schrei der Seele nach Gott... (Bild links)
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Foto
oben: Das ehemalige evangelische Gemeindehaus wird Stadthaus mit
Stadtverordneten-Sitzungssaal. Der Wappenkrebs von Metallgestalter
Manfred Vollmert ist schon umgezogen und schmückt die einstige
Turnhalle, die jetzt kleiner Sitzungssaal wird
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Das
evangelische Gemeindehaus
...sollte dem christlichen Vereinswesen offen
stehen und wurde ab 1913 gebaut. 1914 wurde es fertig und gleich
der Heeresleitung als Lazarett überlassen. 1919 wurde es
doch noch Vereinshaus mit Hospiz (fünf Gästezimmer),
ab 1924 mit Schankrecht. Nach 1933 wurde die Jugendarbeit auf
HJ und BDM reduziert. Gegen Ende des II. Krieges zog in die Bahnhofstraße
5 erneut das Krankenhaus, ab 1946 fand hier Religionsunterricht
statt, an den sich ältere Leser erinnern. Mitte der 1960er
Jahre übernahm die Stadt das Haus zu unterschiedlichen Nutzungen.
Es war Sitz des Sportclubs Cottbus mit Trainingshalle für
Boxer, Station Junger Naturforscher und Techniker und nach der
Wende noch Museum für Natur und Umwelt.
Großzügig: Zwei gleiche Treppenaufgänge führen
in das obere Foyer, früher Trinkhalle genannt,
von wo drei breite Flügeltüren in den Hauptsaal führen
Fotos:
J.Hnr.
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