Cottbus.
Im jungen Staatstheater vor genau 20 Jahren stand der Verlust
der Heimat im Focus der Anatevka-Inszenierung. Joachim
Franke führte damals Regie, KS Horand Friedrich und Marie-Luise
Heinritz waren Tevje und Golde. Auch damals standen Schauspieler
neben Sängern im Aufgebot, allerdings nicht in so kühner
Besetzung wie jetzt. Immerhin lässt sich Michael Becker zu
der Partie des Metzgers verdonnern (damals KS Friedrich Krausewald)
und geht dabei natürlich fehlbesetzt unter.
Doch eigentlich gibt es nur Positives über diese melodramatische
Inszenierung zu sagen, die auf große Menschenansammlungen,
tief anrührende Dialoge und das Schwelgen in jüdischer
Melancholie und Tradition setzt. Familie heißt bekanntlich
das Überthema der Spielzeit, und in intim Familiäres
dringt die Lesart des Regisseurs und Choreografen Giorgio Madia
tief ein. Der Gast hat das Ballett ohne jeden Bruch ins Spiel
eingebaut, hat die Herrn stark in Szene gesetzt und auch sonst
das Bewegen in den Räumen nie dem Zufall überlassen.
Als könne man dieses Dorf in zwei hohlen Händen fassen,
so kuschelt es sich auf die Drehscheibe und bietet eng verbundene
Spielräume (Bühne Cordelia Matthes). Alles deckt warme
Grautöne, auch die Menschen (Kostüme Nicolke Lorenz),
wodurch ihr Reden und Handeln farbig, warm und zutraulich schillert.
Der Fiedler auf dem Dach (so auch der Untertitel, Florian Mayer
gibt ihn a. G. auf leiser Sohle tanzend) agiert als Sinnbild:
Jeder versucht hier eine einschmeichelnde Musik zu spielen, ohne
sich das Genick zu brechen. Die Dramaturgie zielt auf den finalen
Schock. Diese guten Menschen trifft brutal der Befehl. Sie folgen
in Demut und überleben. Diesmal. Vielleicht.
KS Jürgen Trekel a.G. überzeugt in disziplinierter Zurückhaltung
schnörkellos und klar als Milchmann, an seiner Seite ist
Heidrun Batholomäus spielgewaltig die starke Frau. Ihre markige
Chansonstimmlage hebt sie heraus aus der Männerwelt. Hier
führt die Besetzung zu ganz eigener Art und Qualität.
Eine schöne Ensembleleistung, viele Einfälle, alles
prächtig erzählt, musikalisch von Marc Niemann sauber
geführt. Wir erlebten das Stück im laufenden Repertoire.
Das Haus war bis ans Dach vollbesetzt und begeistert. Großes
Bravo! J. Hnr.
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Im März hatte Anatevka
- Der Fiedler auf dem Dach von Jeseph Stein (Buch) und Jerry
Bock (Musik) Premiere am Staatstheater. Der Brodway-Erfolg der
1960er Jahre feierte als Felsenstein-Inszenierung 17 Jahre lang
Erfolge in Ost-Berlin. Nach 1992 ist Anatevka jetzt
in zweiter Fassung in Cottbus. Im Dorf Anatevka sitzt der Fiedler
auf dem Dach. Die Dorfgemeinschaft ist eng gefügt Foto:
Marlies Kross
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