Potsdam.
Zum Jahresanfang war Ministerpräsident Matthias Platzeck
im Land unterwegs und äußerte sich zu brandenburgischen
Befindlichkeiten. Zu einigen Themen hakte Jürgen Heinrich
jetzt bei einem Frühstücksgespräch nach.
Südbrandenburgs Kernthema heißt Energiewende. Sind
wir dabei in Deutschland auf dem richtigen Wege?
M. PLATZECK: Da gab es dieses Ja zur Atomenergie. Alle
Stadtwerke stoppten ihre Investitionen. Sieben Monate später
das Nein. Alles zurück. Das verträgt ein Land nicht
häufig.
Was Brandenburg betrifft: Wir sind bestes Bundesland bei der Erzeugung
erneuerbarer Energien. Über 20 Prozent bringen wir regenerativ.
Und wir haben von 1990 an den CO2-Ausstoß um 78 Prozent
reduziert. Aber das Gesagte geht nicht unvermindert linear so
weiter. Erneuerbare Energien werden teurer, Gas auch. Wir brauchen
also weitere innovative Wege.
Zum Beispiel?
In der Uckermark wurde das erste Hybridkraftwerk eröffnet.
Aus Wind kann, zwischengespeichert, Grundlast-Energie erzeugt
werden. Das ist noch nicht reif, findet aber größtes
Fachinteresse. Brandenburger Mittelständler machen das. Hervorragend,
sage ich als gelernter Wissenschaftler. Und ich füge trotzdem
hinzu: Wir müssen uns die Option für einen Kraftwerksneubau
in Jänschwalde offen halten.
Nur als Brückentechnologie?
Ja, aber wie lang diese Brücke sein wird, kann,
glaube ich, niemand sagen. Da spielen globale Vorgänge eine
Rolle. Zum Beispiel die Gasabnahme in China, die uns plötzlich
dramatische Preissteigerungen bescheren könnte. Wir beziehen
Gas aus Russland, aber wenn wir uns alle in Putins Hände
begeben, halte ich das für ein riskantes Spiel. Mir ist kürzlich
in Neuenhagen bei der Besichtigung einer Strom-Verteilzentrale
deutlich geworden, wie abhängig wir von Energie sind. Die
Experten dort sitzen im Hochsicherheitstrakt hinter schusssicheren
Scheiben und sorgen dafür, dass immer überallhin Strom
mit 50 Herz geht. Früher kein Problem - heute bei schwankenden
Einspeisungen aus Wind- und Sonnenquellen extrem kompliziert.
Wenn das System dort scheitert, geht gar nichts. Keine Polizei
funktioniert ohne (Computer-)Strom, kein Krankenhaus, kein Flugplatz
- nichts. Aber: Die Möglichkeit eines Black Outs kommt immer
näher, fürchten selbst Fachleute. In der Energiefrage
hat also der Faktor Sicherheit Priorität.
Zunächst wird alles funktionieren. Auch beim Umzug der
Flughäfen? Was meinen Sie?
Es wird. Auch wenn (oder vielleicht weil) das in dieser Dimension
einzigartig ist: Zwei Großflugplätze - Tegel und Schönefeld
- ziehen zu einem neuen. Für den Tag X im Juni 2012 sind
alle Möbelwagen Berlins und Brandenburgs geordert, Trainings
laufen. Darüber wird ja viel berichtet.
Auch über anhaltende Proteste, vor allem wegen befürchteten
Fluglärms.
Der neue Flughafen hat die erforderliche Genehmigung. Was Bürgerbeschwerden
betrifft, so haben wir empfohlen, in Schallschutzmaßnahmen
wirklich nicht kleinlich vorzugehen. Das wird jetzt auch gemacht.
Ich sage mal: Wir wollen ein Industrieland bleiben. Dass davon
etwas zu hören, zu sehen und zu riechen sein wird, ist nicht
zu vermeiden.
Haben sich die Hoffnungen der Unternehmen, vom Flugplatzbau
zu partizipieren, bisher erfüllt?
Und ob! Wir sprechen über 2,5 Milliarden Euro Investition.
60 Prozent sind in der Region geblieben. Das ist Goldstaub. Und
der Standort zieht Ansiedlungen nach sich. Bisher haben sich 93
Klein- und Mittelbetriebe mit 4000 Arbeitsplätzen hier niedergelassen.
Das ist erst der Anfang. Das neue Messegelände kommt nach.
Die ILA war ja bisher eine Zeltmesse. Da entstehen jetzt Hallen
und Infrastruktur.
Der alte Fritz wäre atemlos. Preußen aus der Luft!
Wie stehen Sie eigentlich zum Potsdamer Jubilar?
Ich freue mich auf die Ausstellung im Neuen Palais. Das ist ja
eigentlich sein Schloss. Da hat der Alte richtig geklotzt nach
dem Siebenjährigen Krieg. 263 Räume. 70 sind für
die Ausstellung offen. Das ist viel Landeswerbung, denke ich.
Aber ich erinnere bei dieser Gelegenheit auch an unser eigenes
junges Jubiläum: 20 Jahre Brandenburger Verfassung. Das ist
am 14. Juni. Ich denke, da wurde Bedeutendes geleistet - wir haben
eine moderne Verfassung, in der sogar die gute Nachbarschaft zu
Polen drin steht. Und sie ist mit 90 Prozent Volksbeteiligung
abgestimmt worden!
Eine Verfassung ohne Berlin. Ist das noch richtig?
Ja. Alles, was sich zusammen erledigen lässt, machen wir
gemeinsam, zum Beispiel Gerichtsbarkeiten oder ÖPNV. Ich
sehe heute in einer Fusion Berlin-Brandenburg keinen Mehrwert
für das Brandenburger Volk. Die kommende Generation mag das
anders betrachten.
Und wie steht es um die Verwaltungsorganisation im Land, die
Kreisstrukturen?
Wir werden 2030 nicht mehr vier kreisfreie Städte und 14
Landkreise haben, da bin ich mir sicher. Aber das ist nicht mein
Thema. Die SPD hat als Rahmen mal vorgeschlagen, Gemeinden sollten
12000, Kreise 200000 Einwohner haben. Ich bin nicht unbedingt
für große Verwaltungseinheiten, sondern für vernünftige.
Ich denke, das beschäftigt die nächste Regierung ab
2014.
Das kann wohl warten. Aber die brenzlige Finanzausstattung
der Städte kann das nicht. Der Vorwurf heißt: Bund
und Land verteilen Aufgaben, geben aber nicht die Mittel dafür
mit. Was wird mit dem Haushalt?
Wir haben generell dramatisch weniger Mittel, überall. In
der Unterstützung müssen wir uns folglich auf wirklich
bedürftige Regionen konzentrieren. Potsdam gehört nicht
dazu. Wir arbeiten an einer Entschuldungshilfe für kreisfreie
Städte und wir wollen, dass mittels Landes-Finanzausgleichsgesetz
gut gestellte Gemeinden den anderen helfen. Das bleibt aber ein
ganz schwieriger Weg.
Ein Weg, der auch von demografischen Problemen begleitet bleibt.
Vergreist unser Land?
Es wird im Durchschnitt älter, und eine ältere Gesellschaft
- das könnte sein - ist weniger veränderungsbereit.
Aber ich sage immer - und jetzt, da ich selbst Großvater
bin, noch bewusster - eine Gesellschaft muss enkeltauglich sein.
Auch die jetzt Geborenen brauchen einmal als
50-Jährige Spielräume. So weit haben wir zu denken.
Aber was die alten Menschen selbst betrifft, da bin ich locker.
Ich war jetzt in einer Alten-WG. Tolle Sache. Übrigens mit
den gleichen Problemen wie bei jüngeren. Eine putzt nicht,
der andere vergisst was. Trotzdem total zukunftsträchtig.
Unsere Wohnungsgesellschaften sollten mehr solche Wohnformen anbieten.
Mit Begleitdiensten.
Danke für das Gespräch.
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Matthias
Platzeck, seit 1995 SPD-Mitglied, ist seit Sommer 2002 Brandenburgs
Ministerpräsident. Er kennt sich hier aus wie kaum ein zweiter.
In Potsdam und Kleinmachnow aufgewachsen, studierte er Kybernetik,
war Umwelthygieniker, kam über die Bürgerrechtler in
die Politik, lernte das Regieren als Umweltminister und dann Oberbürgermeister
in Potsdam
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