Warum
war es an der Zeit, eine neue Biografie zu schreiben?
Dr. Leo: Die bisherige Biografie von Günther Drommer weist
vor allem in Bezug auf Strittmatters Kriegszeit erhebliche Lücken
und enthält falsche Informationen.
Zum Beispiel?
Drommer schrieb, dass Strittmatter 1941 zur Wehrmacht eingezogen
wurde. Heute wissen wir, dass Strittmatter bei der Ordnungspolizei
war und an Kämpfen gegen Partisanen auf dem Balkan beteiligt
war.
Was machen Sie anders?
Ich bette die neuen Informationen in den historischen Kontext
ein. So schreibe ich nicht nur, dass Strittmatter Mitglied eines
Polizeibataillons, und später des Polizei-Gebirgsjäger-Regiments
Nr. 18 war, sondern erkläre auch die Rolle und Aufgaben dieser
Einheiten während des Krieges.
War Strittmatter bei der SS?
Nein. Das Polizei-Gebirgsjäger-Regiment Nr. 18, in dem Strittmatter
war, bekam 1943 den Zusatz SS zu seinem Namen. Das
war eine Art Auszeichnung, wenn sich ein Regiment bewährt
hatte. Dadurch wurde Strittmatter aber nicht automatisch ein SS-Mitglied.
Aber er wollte es werden?
Ja, 1940 hat er sich bei der Waffen-SS beworben. Die Karteikarte
seiner Bewerbung liegt im Archiv. Strittmatter wurde aber nicht
angenommen.
Ist Strittmatter aus Ihren Recherchen heraus ein Nazi gewesen?
Alle Quellen wie auch sein Tagebuch belegen, dass Strittmatter
kein überzeugter Nazi war.
Warum bewarb er sich bei der Waffen-SS?
Er hatte zweifellos keine massiven Vorbehalte gegen diese nationalsozialistische
Elite-Truppe. Doch die Gründe für seine Bewerbung waren
eher persönlicher Art. Aber haben Sie bitte Verständnis
dafür, dass ich darüber nicht mehr sagen möchte.
Lesen Sie das Buch!
Was interessiert Sie an der Biografie von Erwin Strittmatter?
Für mich sind die Brüche und Widersprüche in dieser
Lebensgeschichte interessant. Strittmatter ist kein Einzelfall.
Das Besondere ist nur, dass er später ein berühmter
Schriftsteller wurde. Aber sein Handeln war typisch für seine
Generation. Wie er haben sich viele im NS-Staat angepasst, haben
freiwillig oder gezwungen mitgemacht. Nach dem historischen
Bruch von 1945 wollten sie es besser machen, sich im Osten Deutschlands
für den Aufbau einer neuen Gesellschaft engagieren.
Eine Wiedergutmachung in einer neuen Diktatur?
Das sagt sich so einfach von heute aus. Am Anfang war da viel
Hoffnung und viel Elan, um die Trümmer beiseite zu räumen
und wieder ein normales Leben herzustellen. Ich würde nicht
sagen, dass Strittmatter sich einfach nur angepasst hat. Er war
Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre ein überzeugter,
ein gläubiger Kommunist.
Und später?
Als die Arbeiter 1953 auf die Straße gingen, begann er zu
zweifeln. In einem Text, der im Neuen Deutschland
nie veröffentlicht wurde, forderte er Reformen, und wurde
dafür öffentlich gescholten. Ich finde es bemerkenswert,
dass er seinen Standpunkt dann aber selbstbewusst verteidigt hat.
Würden Sie sagen, Strittmatter war ein guter Literat aber
ein schlechter Mensch?
Das sind alles so Schubladen, mit denen ich nicht viel anfangen
kann. Es gibt viele großartige Künstler, mit denen
ich persönlich nicht befreundet sein möchte. Man kann
doch Strittmatters Werk schätzen und gleichzeitig sein Leben,
seine Handlungen kritisch hinterfragen, ohne dass da gleich das
Verdikt ein schlechter Mensch herauskommt. Ich möchte
in meiner Biografie weder beschönigen noch verdammen, sondern
einfach erzählen, wie es war und versuchen zu verstehen.
Der moralische Anspruch, die Wertvorstellungen, mit denen wir
als Nachgeborene auf dieses Leben schauen, die haben wir doch
ohnehin ganz selbstverständlich in unserem Gepäck.
Was unterscheidet Ihre Biografie von der Günther Drommers?
Günther Drommer ist ein Literaturwissenschaftler und hat
die Biografie Strittmatters hauptsächlich vom literarischen
Werk aus interpretiert. Doch Strittmatters Romane, so sehr sie
auch autobiografisch gefärbt sind, dürfen nicht mit
seinem Leben gleichgesetzt werden. Die Biografie die ich schreibe,
basiert vor allem auf Dokumenten aus Archiven.
Können Sie ein Beispiel eines Dokuments benennen?
Hochinteressant ist etwa Strittmatters SED-Kaderakte, die ja seit
Beginn der neunziger Jahre zugänglich ist. Wer sich um Mitgliedschaft
bewarb, musste einen Lebenslauf schreiben und Fragebögen
ausfüllen. Vor der Partei hat Strittmatter seine Mitgliedschaft
in einem Polizeibataillon, die Einsatzorte und seinen Dienstgrad
offengelegt. Doch die spätere Zugehörigkeit zum Polizei-Gebirgsjägerregiment
Nr. 18 und den SS-Zusatz am Namen hat er verschwiegen.
Warum?
Selbstschutz natürlich. SS war doch ein Reizwort.
Man darf nicht vergessen, 1947, als er in die SED eintrat, gab
es noch die sowjetischen Internierungslager. Strittmatters Biografie
darf nicht nur schwarz oder weiß gezeichnet werden. Ich
habe viele Grautöne gefunden. Er passt in keine Schublade.
Wann wird die Biografie erscheinen?
Ich hoffe im Juni oder Juli. Aber auf jeden Fall zum Strittmatter-Geburtstag
im August.
Es fragte Mathias Klinkmüller
Zum Thema:
Region (MB). In Spremberg verweigert die SPD-Fraktion und der
Bürgermeister Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU), Erwin Strittmatter
aufgrund seiner umstrittener Vergangenheit die Ehrung zum 100.
Geburtstag in diesem Jahr. Zu diesem Thema tagt der Kulturausschuss
am Mittwoch um 19 Uhr im Spremberger Ratssaal. Am 28. Januar um
14 Uhr in der Bohsdorfer Begegnungsstätte wird Dr. Annette
Leo über ihre Arbeit an der Biografie berichten.
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Dr. Annette
Leo ist die Autorin der neuen Strittmatter-Biografie, die im Sommer
erscheinen wird. Seit 2006 ist Annette Leo wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität
Jena und Koordinatorin des Forschungsprojekts Erinnerung
- Macht - Geschichte. Im Jahr 2008 bekam sie den Annalise-Wagner-Preis
für die Publikation Das ist schon ein zweischneidiges
Schwert hier unser KZ
. Fürstenberger Alltag und
das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verliehen
Foto:
privat
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