Cottbus.
Welche Kraft der Worte, welche Wucht der Moral, welche Kühnheit
der Gedanken. Hier gibt es kein füllendes Geschwätz;
jeder Satz trifft wie ein Donnerschlag. Der Atem stockt. Blut
um Blut, Verderben um Verderben heißt das Gesetz. Wir befinden
uns um 2 500 Jahre zurückgesetzt. Theben ist geschlagen,
zum Hintergrund für erregende Athener Dramatik geworden...
Aischylos (525 bis 456 v. Chr.), der älteste bekannt gebliebene
griechische Tragödiendichter, ist dem Cottbuser Publikum
nicht fremd. Vor einigen Jahren standen seine Perser
im Spielplan, nun dieses blutige Rachekarussell Die Orestie.
Christian Schlüter, der hier 2009 Ibsens Volksfeind
inszenierte, reduziert die Grausamkeiten auf Gesichter und Gesten.
Ein paar nackte Tische und Stühle, viel mehr braucht das
Stück zunächst nicht, um mit diesen knappen Sätzen
(Prosaübersetzung von Peter Stein) zu fesseln. Später
dominiert ein riesiger Opferstein (Ausstattung Jürgen Höth)
die Bühne, verkleinert überdimensioniert den Menschenwillen,
setzt gewaltig Macht von Göttern oder Götzen über
jede Möglichkeit, irdisches Recht zu konstruieren.
Es geschieht großartiges, ergreifendes Theater in diesen
knappen drei Stunden. So unglaublich das Geschehen, so überzeugend
ist die Interpretation seiner Folgerichtigkeit. Hat nicht Agamemnon
Iphigenie, seine und seines Weibes eigene Tochter geopfert, um
die Götter für seinen Krieg und Sieg zu stimmen? Stirbt
er, heimkehrend, nicht völlig zu Recht durch die Hand seiner
Frau und deren nunmehr Geliebten? Und muss nicht Orest diese Freveltat
durch Muttermord sühnen?
Sieben Menschen agieren auf dieser Bühne und treten leidenschaftlich
in unentrinnbares Schicksal, vorgesehen und zu vollziehen nach
allem Gesetz. Gegen vage Zweifel intensiviert psychische Maschinerie
im Fabrikrhythmus alte Gültigkeit. Nicht nur hier überspannen
die Assoziationen den weiten Zeitbogen. Was soll, was kann dieses
Blut um Blut aufhalten. Unversehens treten die Figuren in Chorrollen
neben sich, richten sich direkt ans Publikum. Kann alles anders
funktionieren? Vielleicht sogar demokratisch?
Die Darsteller - ohne Ausnahme - setzen die Konfrontationen, die
Zweifel, die Ängste, das Sehertum und das Heroische der Figuren,
ihr von außerhalb gelenktes Wesen in packender Weise um.
Geradezu genial ihr professionelles Aussteigen aus Ekstase in
Leutseligkeit, aus Athens Chaos in hiesiges - auch Chaos?
Angst vielleicht vorm Dickicht unüberschaubarer Gottheiten
hält das Lausitzer Publikum fern vom Tragödienspiel.
Sehr schade. Und gewiss ein Irrtum. Diese Inszenierung ist höchst
sehenswert! Bravo. J.Heinrich
Den Stein des Anstoßes bekommen Besucher am Ausgang. Er
ist ein Stimmstein, wie ihn antike Richter nutzten zur Urteilsfindung.
Wer ihn Bekannten gibt, empfielt das Stück weiter - der Nutzer
hat einen Vorteil beim Kartenkauf. Originell.
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Szenenfoto
(v.l.n.r.) aus Die Orestie von Aischylos mit Gunnar
Golkowski (Agamemnon), Ariadne Pabst (Elektra), Arndt Wille (Orestes),
Laura Maria Hänsel (Kassandra), Oliver Seidel (Herold), Susann
Thiede (Klytaimestra) und Amadeus Gollner (Aigistos)
Foto: M. Kross
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