Forst-Spremberg
(mk). Zimmer 210 im Forster Rathaus am Dienstag. Drei Männer
wollen zu Reinhard Schult. Einer hat ein jahrelanges Immobilienproblem,
der andere wird verdächtigt, bei der Stasi gewesen zu sein
und will Auskunft zu einer konspirativen Wohnung in Forst und
der Dritte hat gesundheitliche Schäden, weil er in die Nationale
Volksarmee eingezogen statt ausgemustert wurde.
Mathias Klinkmüller sprach mit dem Bürgerberater
Reinhard Schult, der als Beauftragter des Landes Brandenburg
zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAkD)
unterwegs ist.
Herr Schult, warum sind Sie Bürgerberater geworden?
Ich saß acht Monate in den Jahren 1979/80 im Gefängnis.
Warum?
Öffentliche Herabwürdigung. Ich habe Schriften von Biermann,
Kunze und Fuchs verteilt.
Wie waren Sie organisiert?
Ich war überall drin, wo Opposition drauf stand.
Zum Beispiel?
Friedenskreis-Szene, Dritte Welt-Szene, Öko-Szene, Kirche
von unten.
Seit wann beraten Sie Opfer der DDR-Diktatur?
Seit dem Jahr 2003.
Wie viel Menschen beraten Sie?
Ich fahre jedes Jahr 45 Orte in Brandenburg an und treffe so auf
etwa 450 bis 500 Bürger.
Was wollen die Bürger von Ihnen?
Manchmal wollen Sie nur einen, der Ihnen aufmerksam zuhört.
Ich berate aber auch zur Heimkinderproblematik, Akteneinsicht,
bei verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden oder Schäden
in der beruflichen Entwicklung, was für Rentenansprüche
wichtig sein kann. Ansonsten stehe ich für alle Fragen zur
damaligen Staatssicherheit bereit.
Erinnern Sie sich an einen Bürger besonders?
Ja. Ein Vater kam zu mir und erzählte, dass seine 16 und
19 Jahre alten Söhne 1987 von einem russischen Soldaten erschossen
wurden.
Wissen Sie warum?
Es gab kein warum. Der Soldat hatte 24 Stunden Wache geschoben
und ist dann außerhalb des Kasernengeländes durchgedreht
und hat die Jungs beim Schrott sammeln erschossen. Nach sowjetischem
Recht war das Notwehr.
Wie helfen Sie dem Vater jetzt?
Totschlag verjährt erst nach 30 Jahren. Ich habe mir die
Akten abgeholt. Wir Oppositionelle wussten sehr viel, aber dass
1987 noch zwei Jungs erschossen wurden, kam mir nie zu Ohren.
Wie beurteilen Sie die Aufarbeitung der DDR-Zeit?
Die damaligen Täter bewachen ihre Akten. Bei der Justiz der
Polizei und in den Rathäusern haben hauptamtliche Stasimitarbeiter
nichts zu suchen. Wer in der Öffentlichkeit tätig ist,
muss seine Vergangenheit offenlegen. Es liegt noch viel Arbeit
vor uns.
Was stört Sie besonders?
Das bürokratische Verfahren. Für Straffällige ist
das Landgericht, für berufliche Verfolgung das Innenministerium,
für Ausgleichszahlungen das Sozialamt, für gesundheitliche
Folgeschäden das Landesamt für Soziales usw. verantwortlich.
Wie oft kommen Sie nach Forst und Spremberg?
Alle zwei bis drei Jahre.
Für jene, die den Forster Termin verpasst haben: am 1. November
ist der Bürgerberater von 11 bis 17 Uhr im Spremberger Rathaus.
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