Region. Es ist Mittwoch, der 14. Juli 2010.
Die Sonne sticht hoch vom Himmel, hat bleigraue Wolken verdrängt.
Auch Mitternacht wird sie oben bleiben, als sei Sommernachmittag.
Aber die Temperatur kommt auch dann nicht über Null.
Unser GPS zeigt 89o59.7606N und 164o21.7333W. Einige
Momente noch dieses Rucken, das alles Geschirr zittern lässt
und Tagebuchaufzeichnungen unmöglich macht. Eine kleine Drehung
des kolossalen Schiffes, dann ist es geschehen. Kein West mehr,
kein Ost. Nur noch Nord, glatte 90 Grad. Wir sind am Ziel - auf
dem Nordpol!
Landgang! ruft es. Aber kaum jemand versteht das Wort
im Sprachengewirr von 23 Nationen. Er trifft auch nicht zu, dieser
Begriff, obwohl wir die schmale Stiege abwärts klettern.
Wir erreichen nur Packeis, mächtiges Packeis, unwegsam, aufgetürmt
oder trügerisch überschneit. Ein Schritt, und wir stecken
bis zum Gürtel im Weiß. Unter uns schweigen 4 261 Meter
Polarmeer. Russische Tauchboote haben unten vor drei Jahren Hoheitskapseln
verankert. Ist der Nordpool russisch?
Unser Kapitän wiegt vielsagend den Kopf. 2007 - da hat Putin
gerade sein Schiff eingeweiht. Stolz der Nordmeerflotte! Mehr
als 20 Jahre wurde daran gebaut, seit 1985. Jetzt erzeugt es mit
zwei Reaktoren die Kraft eines Erdbebens der Stärke neun.
Damit hält 50 Jahre Sieg den Nordmeer-Weg von
Murmansk nach Sibirien frei. Kostbare sibirische Rohstoffe gelangen
so in den europäischen Teil Russlands.
In kurzen Sommerferien kann das Schiff eine Expedition
wagen. Dahin, wo die Menschheit seit Jahrhunderten unter Opfern
wollte. Friftjof Nansen schrieb 1896, als er bei 86o14 in
Nebel und Packeis scheiterte: Man muss den Pol erreichen,
damit die Besessenheit aufhört... - Man muss!
Montag zeigt der Autor im DoppelDeck Bilder seiner Expedition
in diesem Sommer. J.H.
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Mit
75 000 PS schiebt sich der Atomeisbrecher 50 Jahre Sieg
durch drei Meter dickes Eis. Kein anderes Schiff der Welt entwickelt
diese Kraft Foto: Jürgen Heinrich
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