aus dem Hause Cottbuser General-Anzeiger Verlag GmbH

Keine Großstadt, aber Oberzentrum
Unter 100 000 Einwohner verliert Cottbus einen eigentlich unwichtigen Status

Cottbus (gg). Die Studenten der Stadt retten den Großstadtstatus wahrscheinlich bis in den Januar/Februar. In den letzten Wochen, berichtet Beigeordneter Lothar Nicht im DoppelPunkt, haben sich etliche mit ihrem Erstwohnsitz in Cottbus angemeldet und die Einwohnerzahl auf aktuell 101 044 nach oben gebracht. Doch spätestens im Frühjahr wird die Grenze geknackt, die Folgen kennt Nicht: „Wir büßen rund 600 000 Euro Konzessionsabgabe der Versorgungsbetriebe pro Jahr ein...“. Die werden von Stadtwerken, Gas- und Stromversorgern an die Kommune gezahlt und sind nach Einwohnerzahlen gestaffelt. Sonst aber, beruhigt er, ändert sich wenig: „Wir bleiben in allen Förderprogrammen von Land und Bund, wir bleiben Modellstadt, und am wichtigsten: Wir bleiben auch Oberzentrum!“ An diesen Status sei heute weit mehr gebunden, als an den einer Großstadt.
Dora Liersch blättert in den Entwicklungszahlen der Stadt, um zu zeigen, wovon das Wachstum in der Vergangenheit bestimmt war und wird fündig:„Neben der Dampfmaschine war es die Elektrizität, der Bau von Wasserleitungen und fast am allerwichtigsten: Der Ausbau der Bahnverbindungen für den Handel!“ Nach 1871 - wenige Jahre vorher fuhr der erste Zug nach Berlin - erlebte Cottbus eine Blüte, die vor allem durch Wirtschaftskraft und dann zunehmend durch Kunst und Bildung und kluge Entscheidungen beflügelt wurde.
Solchen prozentualen Schwund kannte die Stadt bislang nur durch Krieg oder Pest: Seit 1989, damals wohnten 129 000 Menschen in Cottbus, hat die Stadt 46 000 Einwohner verloren, 17 000 kamen andererseits durch Eingemeindungen hinzu.
Das Rezept, um diese Entwicklung zu stoppen, sieht Nicht einerseits darin, dass die Bahnverbindung von Berlin über Cottbus nach Forst und Breslau ausgebaut wird. „Es gibt erste Zeichen, dass es hier eine Wende geben kann - die Bahn will 900 000 Euro in den Ausbau des Bahnhofs stecken - das macht keinen Sinn, wenn nicht auch die Strecken attraktiv sind!“ Andererseits gibt es die neue Einheit der Landkreise und der Stadt unter der Marke „Energieregion Lausitz-Spreewald“. Wenn auch die Braunkohle heute nicht mehr so arbeitsplatzintensiv sei, wie zu Grundsteinlegungszeiten von Sachsendorf, setze die Rathausspitze dennoch auf die Innovationskraft der Energieforschung und -entwicklung: „Wir können Modellregion für ganz Deutschland werden - Cottbus bietet dafür demnächst mit dem TIP-Industriepark im Norden eine einmalige Ansiedlungsfläche!“ Wer sich dort ansiedeln und für neue Wirtschaftskraft sorgen könne, stehe mit den vom Land bestätigten Branchenschwerpunkten schon fest. Eberhard Fischer, besser bekannt als Postkutscher und Stadtführer, sitzt interessiert im Publikum, will es genauer wissen, vielleicht auch damit er Cottbuser Gästen Zukunftsvisionen weiter erzählen kann. Nicht nennt das erste Mal wirkliche Interessenlagen für das in der Entwicklung befindliche Industriegebiet: “Wir wollen verstärkt junge Ausgründer der BTU dorthin lenken, mit Kunella und Gourmet gibt es entwicklungs- und erweiterungsfähige Firmen der Nahrungsmittelindustrie und mit dem Ausbesserungswerk der deutschen Bahn AG auch eines mit Zukunftshoffnung im Bereich der Automotive!“
Lothar Nicht denkt vor allem an Arbeitsplätze für junge Frauen, um den doppelten Verlust, der zur Zeit an der Stadt nagt zu stoppen: Ein Großteil der Abwanderer sind weiblich und im besten Alter, um Familien zu gründen: „Die brauchen Arbeitsplätze, von denen sie eine Familie auch ernähren können“, appeliert er. Dora Liersch und die DoppelDeck-Gäste erinnern sich an Zeiten, in denen zum ehemaligen TKC täglich rund 4 000 junge Frauen zur Arbeit fuhren. Und daran, dass die Stadt mit weniger als 100 000 Einwohnern lebens- und liebenswert war. Den neidischen Blick zur Stadt Görlitz, die mit reichen Ruheständlern Einwohnerzuwächse schafft, relativiert Nicht: „Görlitz hat 20 Prozent Arbeitslosigkeit - wir sind bei 12 Prozent. Und erst unter 10 Prozent erreicht man eine funktionierende wirtschaftliche und soziale Struktur! Wir sind also auf dem besseren Weg.“

Zu Gast bei Gabi Grube war:


links: Dora Liersch, Vorsitzende des Heimatvereins: „Als wir 1976 mal 100 000 Einwohner waren, gab es eine Aufbruchstimmung!“

rechts: Lothar Nicht, Beigeordneter im Rathaus: „Arbeit ist der Schlüssel zu Wachstum. Aber Arbeit, von der die Leute auch leben können!“

 

 

Am 30. Oktober
reden wir über:
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„Luthers Thesen - was sagen sie uns heute?“ - mit dem Bundestagsabgeordneten und Pfarrer im Wartestand, Steffen Reiche sowie katholischen Geistlichen

 

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