Cottbus
(h). Ein Besucher nannte es wohlwollend den Ritterschlag:
So hohen Besuch hatte das Theater im 100jährigen Dasein noch
nie. Zwar gab dem Haus zum 50. Geburtstag der damalige Ministerpräsident
Otto Grothewohl die Ehre, aber Bundespräsident Horst Köhler
dürfte als weitaus ranghöher gelten. Seine Bewertung
von Verdiensten und Bürgerfleiß koppelte er nicht an
Regierungsformen. Die Theatergründer, sagte er, hätten
sich der Freiheit in Kunst zugewandt und damit auch der
Freiheit selbst. Er spüre den Geist der Gründerjahre
in diesem Bauwerk und im Banne herrlicher Stimmen, die eben
verklangen, riss es ihn hin: Ich bin wirklich ganz hin und
weg. Er habe nicht mit einem so schönen Abend gerechnet,
gestand er und fügte, dem Intendanten zugewandt, hinzu: Herzlichen
Glückwunsch! Ich verspreche Ihnen, ich drohe Ihnen an: Ich
komme wieder. Das brachte dem Ehrengast, der in dezent dunkelgrauem
Anzug und mit dunkler Fliege ans Rednerpult getreten war, Szenenbeifall.
Horst Köhler dankte Ursula Hulme, der Enkelin des Gründungsmäzens
Max Grünebaum- herzlich. Die Fabrikantenfamilie war aus Nazideutschland
vertrieben und enteignet worden; aus rückübertragenem
Vermögen gründeten die Erben eine Stiftung zu Gunsten
junger Bühnenkünstler und Wissenschaftler in ihrer Heimatstadt.
Horst Köhler würdigte auch die beherzten Retter des
Hauses, die seine Sprengung 1945 verhinderten, weil der Musentempel
als Munitionsdepot missbraucht war. Anerkennende Worte fand er
ebenso für das Bürgerengagement der 1980er Jahre, als
das Haus umfassend restauriert worden ist. Es sei ein schönes
Zeichen für den Geist des Aufbruchs, dass gerade hier am
Theater 1989 die Cottbuser Montagsdemonstrationen begannen. Wenn
die Hamburger als Ausrichter des Festaktes zum Tag der Deutschen
Einheit dem Anlass erstmals einen Titel gegeben haben, nämlich
Kulturnation Deutschland, dann kann ich denen dort
am 3. Oktober sagen, dass diese deutsche Kulturnation lebt. Sie
lebt vor allem hier in Cottbus. Das sollen die Hamburger wissen!
150 Stadt- und Staatstheater und weitere 1 000 freie Bühnen
seien rühmliches Potential für die Kunst; unser facettenreiches
Leben liefere genügend Stoff für Theater, wies Horst
Köhler auf aktuelle Wortmeldungen der Kunst hin. Kultur möge
das Bindeglied für Generationen sein. Das Theater sei Bollwerk
gegen Extremismus und Barbarei. Mit einem freundlichen Glück
auf! schloss der Bundespräsident und nahm in der ersten
Reihe, später zum Konzert in der Loge im ersten Rang Platz.
Stürmischer Applaus dankte ihm für sein Kommen.
Trutzburg á la Wanka
Als Kulturministerin Prof. Johanna Wanka, in weiter akademischer
Schleife ihren Gruß einleitend, von Wiener Avantgardisten
schwärmte, die 1908 für bauliche Reduktion und gegen
alle Schnörkel am Bau Front machten, während in der
Lausitzer Provinz noch Zierrat bejubelt wurde, senkten sich die
Köpfe im Publikum. Aber die Ministerin schaffte die Kurve:
Unser schönes Theater ist heute ein Leuchtturm, der
Signale bis Berlin und ins nähere Dresden sendet. Das
Sehringsche Bauwerk nannte sie eine Trutzburg der Hochkultur.
Weiter: Dieses Theater hat einen festen Platz in der brandenburgischen
Theaterlandschaft und behauptet sich mit einem lebendigen Spielplan.
Hier richtete sie ihren Dank persönlich an Intendant Martin
Schüler.
Im Gründergeist
Auch Oberbürgermeister Frank Szymanski setzte seine Gedanken
ein Jahrhundert rückwärts an: Der Geist, der damals
herrschte, hat uns viel zu sagen fand er und verglich Oberbürgermeister
Paul Werners Zeit (1892-1914) mit der heutigen. Damals wie heute
gäbe es große Schübe der Stadtentwicklung. Damals
wie heute wurde und werde aber auch viel diskutiert, manches auch
zerredet von Stadtverordneten, verglich er die Chronik mit eigenem
Erleben. Wir konnten in den letzten Jahren das Haus mit
hohen Kosten ein weiteres Mal sanieren, außerdem ein neues
Kunstmuseum schaffen und wollen demnächst ein Mehr-Sparten-Jugendtheater
bauen, schilderte der Oberbürgermeister gegenwärtigen
Glanz.
Dass es gelang, das Theater 1992 zum Staatstheater mit paarigem
Finanzierungsmodell von Land und Stadt zu machen, sei eine sehr
weitsichtige Entscheidung gewesen, erinnerte der Redner.
Ein Glücksfall war, dass Christoph Schroth als Intendant
und Schauspielregisseur nach Cottbus kam, führte er fort
und musste stürmischen Beifall verrauschen lassen, ehe er
eine weitere Schlüsselentscheidung lobte: Die Gründung
einer Stiftung für Theater und Kunstsammlung habe sich bewährt
und schaffe dem Theater Planungssicherheit.
Schauspiel und Konzert
Künstlerische Klammer um die Festreden waren die Uraufführung
eines Kleinen Vorspieles für ein großes Fest
und am Schluss vom Philharmonischen Orchester die Suite Die
Planeten von Gustav Holst.
Das Stück von Bert Koß, früher hier Dramaturg,
erzählt seine Geschichte im Titel: Musen im Rausch.
Die neun Göttlichkeiten der Künste, die übrigens
Architekt Sehring gar nicht mochte, weshalb sie erst später
ins Kuppelfoyer gestellt wurden, steigen eine Geisterstunde lang
von ihren Sockeln und erleben einen verzweifelten jungen Intendanten.
Der soll ein Jubiläum inszenieren, aber alle Weltstars haben
abgesagt. Der Geplagte (heftig zuckend von Jan Hasenfuß
gegeben) wird aufs eigene Ensemble aufmerksam. Da hat er die Stars.
Gesine Forberger, Carola Fischer und besonders Anna Sommerfeld
ernten tosenden Beifall für ihre Arien.
Originell baut der Autor zwei coole Typen aus Sandow und Kolkwitz
ein, Jaqueline und Kevin, gegeben von Kathrin Victoria Panzer
und Oliver Seidel, die den Staub aus dem Tempel rocken. Allerlei
Musenküsse befördern viel seichten Spaß. Bedeutung
geben dem Stück zwei entscheidenden Besetzungen: Als Clown
kriecht Landrat Dieter Friese aus der Unterbühne und wird
kaum erkannt: Hier lacht keiner mehr über mich,
knurrt er seinen Text, womit er den jahrelang weggesperrten Humor
auf freien Fuß bringt. Der Hausmeister, der schließlich
Ordnung schaffen möchte, wird vom echten Intendanten Martin
Schüler selbst gegeben.
Bald darauf tritt der ohne Maske ans Pult und begrüßt
mit dem klugen Leitgedanken: Träumen wir nicht alle
davon, mit der Weisheit des Alters möglichst auf ewig jung
zu bleiben? Das aber kann nur das Theater, ein Ort, an dem die
Flüchtigkeit unseres Alltags aufgehoben wird...
Planetarische Musik
Das Planeten-Werk beschließt das Programm, das
mit dem Bild einer einzelnen Glühbirne begann. Gebrauchsgegenstände
dieser Art waren Neuheiten in Sehrings Schaffenszeit; er setzte
sie künstlerisch ein, nackt, zusammengefügt zu einer
Sternenkuppel wie in Schinkels Zauberflöten-Bühnenbild.
Das regte Studenten an, viele Sternenhimmel im Schillerpark anzulegen.
Ihre Wirkung ertrank an diesem Abend leider im Regenguss. Als
Planeten schwebten die Sterne musikalisch und in Videoanimation
(hergestellt von wallat & knauth) über die Bühne.
Es sind Planeten voller Mystik, in denen bewegte Bilder vergangener
Inszenierungen schimmern. Schade, dass sich das Erinnern auf nur
15 Jahre von 100 reduziert.
Evan Christ peitscht seine Musiker mit jugendlichem Temperament
durch den Kosmos, holt alles aus jeder Stimme, zaubert feinste
Tonketten, die sich aber nie wirklich zu Melodien fügen.
Es ist eine ungewöhnliche Musik, die der Brite Gustav Holst
in jener Zeit schrieb, als am Cottbuser Theater die Oper aus Kostengründen
eingespart wurde. Man erlebte hier damals den später als
Operettenkomponist berühmten Eduard Künneke. Aber dieser
Holst ist ein ganz anderer, einer, mit dem Evan Christ Planetenreigen
antreiben kann. Vier Stücke steigern die Spannung: Mars,
Venus, Merkur, Jupiter. Die fernen Körper Saturn, Uranus
und Neptun säuseln unspektakulär. Noten zu Pluto gibt
es nicht; der war, als die Musik entstand, noch nicht entdeckt.
Die Blicke richteten sich schließlich im Freien zu den Gestirnen.
Feuerwerk hieß der Programmpunkt, dem nur noch
Geburtstagstanz auf der Bühne mit nAund und mit
Four in a Row in der Tischlerei folgte. Nun hatten
die Eltern Gelegenheit zu Bewegung wie die Kinder am Vormittag.
Mit ihnen war das Fest märchenhaft hinter den Kulissen begonnen
worden. Fast 2 000 Schüler tourten durchs Geburtstagshaus.
Unser erwachsenes Publikum von morgen, freute sich
Intendant Martin Schüler.
Die Feierlichkeiten setzen sich heute fort mit der Premiere der
Walküre aus Wagners Nibelungen (18
Uhr) in Regie von Martin Schüler, musikalischer Leitung von
GMD Evan Christ. Sonntag wird der Grünebaum-Preis verliehen.
Der Festakt ab 11 Uhr ist öffentlich.
|
Gar nicht
gestelzt kam das Jubiläumsfest zum 100. Theatergeburtstag
daher - trotz roten Teppichs und viel Sicherheit wegen des Bundespräsidenten.
Schon vorm Eintreten der Gäste war Spiel angesagt. Die gute
Laune hielt bis nach Mitternacht an Foto:
Marlies Kross
Oben:
Ausreichend Zeit für Pausengespräche - hier zwischen
Redaktionsleiter Jürgen Heinrich (l.) und Prof. Hinrich Enderlein.
Ihm verdankt Cottbus zu großen Teilen heutiges Theaterglück,
denn Enderlein (FDP) machte als Kulturminister der ersten brandenburgischen
Ampelkoalition (SPD, FDP, Grüne) aus dem Stadttheater ein
Staatstheater mit entsprechender Finanzausstattung und unterzeichnete
auch die Intendantenvertrag mit Christoph Schroth
Unten:
Wer draußen auf dem Schillerplatz das Festprogramm verfolgte,
musste sich warm anziehen, musste aber nicht auf Begegnungen mit
Prominenz verzichten. Hier haben Alt-Intendant Christoph Schroth,
der noch fleißig inszeniert, und seine Frau, die Schauspielerin
Babara Bachmann, den Weg ins Freie und zu ihren Fans gefunden
Fotos: Gabi Grube
Oben:
Für Theaterleute ist das Jubiläum wie Klassentreffen.
Hier begegnen sich der streitbare Regisseur Dieter Roth (l), der
1982 bis 90 das erregende Schauspiel der Vorwende inszenierte,
und der Sänger Hans-Joachim Schröpfer, der dem Ensemble
33 Jahre angehörte und dem Haus bis heute die Treue hält
Foto:
JH
Unten:
Mit
dem Osterspaziergang sucht Faust Kai Börner
die coole Jacqueline aus Sandow zu bestürmen. Erato muss
ihn zu heftig geküsst haben, findet wohl auch Kevin aus Kolkwitz,
der dort einen Gartennachbarn hat, das was Großes beim Theater
war, wozu den Freunden des Hauses nur Hans-Joachim Schröpfer
einfällt, der an diesem Tag mit manch anderem früheren
Kollegen im Publikum saß
Foto: M. Kross
Herzliches Willkommen für Bundespräsident Horst
Köhler und seine Gattin. Weil draußen genau im Moment
seiner Ankunft Platzregen niederprasselte, wurde es eng im unteren
Foyer für Ehrengäste, den Intendanten (r.), den Oberbürgermeister
mit seiner Partnerin (l.) und die drängelnden Fotografen
Foto: Marlies Kross
Ein
prächtiges Feuerwerk über dem Staatstheater lockte die
geladenen Geburtstagsgäste auf die Straße
Foto: Gabi Grube
|