Forst
(gg). Zwischen Landtagsdiskursen über Babymorde und Bodenreformunrecht
hatte Ministerpräsident Matthias Platzeck am Dienstag eineinhalb
Stunden für die Rosenstadt Forst freigehalten und erschien
gut gelaunt im Hotel WIWO, wo er vor rund 100 Forstern in einer
Gesprächsrunde der GRÜNEN Heimatzeitung auf Fragen von
Bürgermeister Jürgen Goldschmidt und Moderatorin Gabi
Grube antwortete. Hier der Extrakt in Stichworten.
Schwächen schwächen?
Zuerst kommen die 15 regionalen Wachstumskerne zur Sprache, zu
denen Forst nicht gehört. Dennoch entstehen Arbeitsplätze
in der Solarglasindustrie und demnächst auch bei einer holländischen
Kabelproduktion. Platzeck. Es wird keine Fortsetzung des
Solidarpakts nach 2019 auch keine EU-Förderung mehr geben.
Es ist also viel sinnvoller an Strukturen zu bauen, die das Leben
nach den Fördermitteln möglich machen und das Forst
zeigt, dass das gut geht! Platzeck verweist auf die wachsenden
Vorteile, die die Lage an der Grenze bringt. Investoren entscheiden
sich seit etwa zwei Jahren bewusst für Grenznähe - in
Frankfurt und Eisenhüttenstadt sei das auch so gewesen. Die
polnischen Grenzregionen haben die besten Wachstumszahlen Polens
- das habe demnächst auch Wirkung westseits der Grenze.
Fachkräftesicherung
Goldschmidt berichtet von 400 Bewerbern für die Kabelproduktion,
von denen gerade 40 die Einstellungskriterien erfüllten.
Platzeck bestätigt: das Problem werde sich 2009/2010 weiter
verschärfen und er setzt auf Bildungspolitik. Mehr Frauen
müssten sich für Männerberufe begeistern - eine
Werbeaufgabe, die auch die Wirtschaft zu leisten habe. Die Studierendenquote
müsste erhöht werden, auch aus den Reihen der Hartz
IV-Bezieher: Wer in technischen Berufen studiert, hat meist
schon im vierten Semester den Arbeitsvertrag sicher! Das
käme der Wirtschaft und den jungen Leuten zugute.
Kinderbetreuung
Das führt direkt zur frühesten Stufe der Bildung - in
die Kinderbetreuung. Während sanierte Kommunen wie Spremberg
kostenlose Kindergartenjahre finanzieren können, ist das
in Forst mit hohem Schuldenstand nicht möglich. Platzeck:
Ich halte nichts davon, pauschal Betreuung kostenlos anzubieten.
Sinnvoll ist eine Sozialauswahl, damit nicht für gut Verdienende
mitbezahlt wird! Das wenige öffentliche Geld werde
an anderen Stellen mehr gebraucht.
In Planung sei deshalb - noch wird darüber im Landtag gestritten
- ein Schulsozialfonds für Schulleiter, aus dem die Unterstützung
bekommen, die sie nötig haben.
Gesundheitsversorgung
Goldschmidt berichtet über die Forster Sorgen bei der Krankenhausfinanzierung
und das unzumutbare regionale Gegeneinander bei so wichtigen Schlüsselthemen
wie Gesundheitsvorsorge. Platzeck bleibt diffus: Man wisse nicht
alles über den Prozess der schrumpfenden Städte - das
alles sei nicht untersucht. Dann konkreter. Ambulante und stationäre
Versorgung gehöre nicht mehr getrennt. Gerade in dünn
besiedelten Gebieten sei die wechselseitige Auslastung der Kapazitäten
ein Schlüssel zur Lösung des Problems. Der Osten Deutschlands
werde vom Gesundheitsfonds profitieren, der ab 2009 mit Steuergeldern
die Versorgung in überalterten Regionen stützt. Forst
bleibe aber als Klinik-Standort gesetzt, aber man könne die
Ärzte nicht zwingen, hier Dienst zu tun. Wenn die Arbeitnehmerfreizügigkeit
vorgezogen werde, könnten polnische Ärzte früher
die Lücken schließen.
Ortsumgehung
Forst in der Klemme bei der Verkehrsfrage. Die polnischen Nachbarn
haben ihre Straße zur Grenze breit ausgebaut und hoffen
auf die Öffnung des Grenzübergangs Sacro, weil davon
wesentlich ihre wirtschaftliche Entwicklung abhängt. Das
ist bislang nicht möglich, weil ein westliches Stück
Umgehungsstraße fehlt. Zurückgestellt wegen zu wenig
Verkehr. Der würde aber kommen, wenn die Solarglasfabrik
erst ihre Produkte nach Frankfurt bringen will. Platzeck macht
Hoffnung: Ein Kriterium beim Straßenbau sei künftig
auch die Frage Was tut sich bald? Der Wegfall der
Grenzkontrollen bringe mehr Bewegung in die Region als erwartet.
Verkehrsminister Reinhold Dellmann müsste sich das Thema
Forst er Ortsumgehung deshalb noch einmal vornehmen.
Korridor auf Schienen
Wenn erst der BBI-Flughafen in Schönefeld fertig ist, wird
durch Forst die Bahnstrecke nach Breslau und Krakau führen.
Vielleicht. Denn am europäischen Verkehrskorridor 3 - so
heißt er in europäischen Planungen - wird von vielen
Seiten, auch von den Sachsen, gezerrt. Platzeck: Wir werden
im Oktober ein Gipfeltreffen der Oderpartnerregionen haben, um
darüber zu reden. Bis dahin müssen wir nachweisen, dass
Forst dabei eine wichtige Rolle spielt!
Vielleicht helfe ja dann die Schilderung der Tatsache, dass Forst
auch den vielen Landesgartenschaubesuchern 2013 einen Bahnanschluss
bieten müsse, meint Moderatorin Gabi Grube und will dem Ministerpräsidenten
auch zu diesem Thema noch ein Statement entlocken. Forst hat sich
als eine von sechs Städten für die Ausrichtung der LaGa
beworben. Natürlich kann vor Bekanntgabe der Ausrichtungsentscheidung
im nächsten Frühjahr nur gescherzt werden. Aber Platzeck
bescheinigt der Rosenstadt an diesem Abend: Euer Brandenburgtag
ist gut angekommen und als Rosenstadt mit dem 100jährigen
Park habt ihr beste Voraussetzungen!
Gelb-Rot funktioniert
Dass das gelb-rote Miteinander einen Abend lang gut funktioniert
hatten Platzeck (SPD) und Goldschmidt (FDP) bis dahin schon nachgewiesen.
dann gabs am Ende noch eine Steigerung: Mit der Frage nach
einem Kommentar zu Becks Koalitionspolitik in Hessen. Drei Tage
Urlaub hatte Platzeck im Januar in den hessischen SPD-Wahlkampf
investiert und mahnt angesichts der Koalitionsverhandlungen zu
Pragmatik: Gewählte demokratische Parteien zu verteufeln,
ist immer ein Fehler, so Platzeck. Er habe mit den Kollegen
der Linken seit vielen Jahren zu tun und rate seinen Westkollegen
immer, zu schauen, wo man was zusammen machen kann. An den Forster
FDP-Bürgermeister gewandt, ergänzt er mit Blick auf
die Landtagswahl in Brandenburg: Ihr Gelben, schlaft nochmal
drüber und guckt genau, dass ihr nicht in der Besenkammer
landet. Die Kanzlerin hat diese Woche von den Grünen als
Top-Koalitionspartner geschwärmt. Guckt doch noch mal, ob
nicht Rot-Gelb-Grün nicht auch was Nettes für unser
Land wäre!
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Ministerpräsident
Matthias Platzeck über Bürgermeister Jürgen Goldschmidt
(li.) Er hat, was man in seiner Position braucht: Freundliche
Penetranz! Einen Abend lang ging es mit Moderatorin Gabi
Grube um die Forster Zukunft Foto:
Ha.
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