Region
(h./G.G.). Allein an der Frage um ihre Notwendigkeit
scheiden sich die Geister: Einladungen zu Neujahrsempfängen
werden immer zahlreicher, dort aber, wo sie am ehesten Starthilfe
ins neue, wieder schwierige Jahr sein könnten mit ihren Kontaktpflegen
unter Unternehmern, Ehrenamtlern, Politikern und anderweitig Engagierten
- dort fallen sie aus Kostengründen weg. Die Städte
Guben, Forst und Spremberg veranstalten keine eigenen Neujahrsempfänge.
Deren Bürgermeister und kommunale Macher wurden auf Empfängen
von Parteien und Verbänden gesehen, die jeweils so offen
sind, dass alle Themen besprochen werden können.
Während das neue Cottbuser Stadtkonzept auf Glanz und exclusive
Orte für ihre Empfänge (700 Teilnehmer!) aus ist, gehen
Parteien, Kammern und Verbände an ihnen gemäße
Plätze. Die Handwerkskammer nutzt ihr eigenes Haus und legt
Wert auf einen sehr frühen Termin, der den Meistern und Partnern
des Handwerks dienlich sein kann. Die IHK bietet seit Jahren eine
intelligente Alternative - sie lädt statt zum Neujahrs- zum
Mittsommerempfang ein. Die Gesichter, die sich sehen, sind dann
die gleichen, die Themen aber neu. Das ist nützlich für
die Region.
Bekenntnis zur Kohle
Es darf von höchster Zunge auch mal salopp gesprochen werden
auf solchen gutstimmigen Treffen. Bei Ministerpräsident Matthias
Platzeck klang das im Meistersaal der Handwerkskammer so: Da
wir unter uns sind - wir müssten doch mit dem Klammersack
gepudert sein, wenn wir unsere Kraftwerke hier in Jänschwalde
und Pumpe abschalten würden... Er bekannte sich klar
zur
Braunkohle, auch wenn das Menschen sehr belastet.
Beim SPD-Ortsempfang im Cottbuser Stadthaus sprach Vorsitzender
Werner Schaaf, zugleich Vorsitzender des Braunkohlenausschusses,
von der Zukunft als Industriestandort mit ausgewogenem Energiemix,
in dem Kohle eine wichtige Rolle spielt. Wir vertrauen auf
die Solidarität mit den Familien der Arbeitnehmer, die hier
im Revier dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt und ihre Zukunft verankert
haben. Ganz ähnlich dürfte kommenden Donnerstag
in Spremberg gedacht werden, wenn der dortige SPD-Ortsverein ins
Bergschlösschen einlädt. Die Sorge und die Hoffnung
begegnen sich gerade in diesem Jahr wieder ziemlich dramatisch
in den Vorfeldern des Tagebaus.
Auch die Kommunalwahlen wird dieses Thema berühren. Werner
Schaaf in Cottbus hofft, dass dabei nicht wild gestritten wird,
sondern eine offene Bestandsaufnahme und ein Wettbewerb
der Ideen stattfindet. Nicht zufällig stellt er in
diesem Zusammenhang das Glück der Kinder in den Vordergrund.
Das Schulkonzept dürfte wohl dauerhaftes Streitthema in der
Stadt Cottbus wie auch im Spree-Neiße-Kreis bleiben.
Wirtschaft stärken
Auch FDP-Kreisvorsitzender Mario Witt formulierte salopp. Sein
Verband Lausitz, der als erster Cottbus und SPN fusionierte, findet
keinen Nenner mit den ebenfalls fusionierten Linken: Das
hat mich ja
fast umgehauen, dass ausgerechnet Leute der ehemaligen Arbeiter-und-Bauern-Partei,
die immer vom Energie-Bezirk sprachen, gegen Braunkohle mobil
machen! Die Liberalen zieren sich nicht, wenn sie zum neuen
Jahr zuerst vom Geldverdienen sprechen - es geht schließlich
um Jobs, die hier mehr fehlen als alles andere. Witt: Freiheit
bedeutet, einen Job zu haben, durch den man sich die Annehmlichkeiten
unserer Gesellschaft leisten kann. Und er
polterte: Bei uns steht der Unternehmer nicht zuerst unter
Generalverdacht, Steuern zu hinterziehen und Schwarze Kassen zu
betreiben.
Gut im Gespräch...
Demgegenüber ging es beim Cottbuser Stadtempfang zahm zu.
Der Ort - die Oberkirche - gebot Moderates. Und so klaubte Oberbürgermeister
Frank Szymanski (SPD) sein Manuskript vom Vorjahr heraus und erzählte
wieder, dass sich die Stimmung gewandelt habe und man miteinander
rede, nicht übereinander. Wirtschaftliches wurde weitestgehend
ausgespart, selbst Fachminister Ulrich Junghanns(CDU) änderte
sein Konzept im Angesicht des Kreuzes. In ihrer Ansprache lobte
Generalsuperintendentin Heilgard Asmus aber den Mut der Gastgeber,
die Kirche für solche Begegnungen zu öffnen.
Ungewöhnliche Orte lieben auch die Peitzer, doch sind dies
stets Metaphern für bürgerschaftliches Engagement. Im
Vorjahr war es die Feuerwehr, jetzt der weiter ausgebaute Fes-tungsturm.
Gutes Klima bringt die Stadt voran, und so zeichnete Bürgermeister
Bernd Schulz hier wieder die fleißigsten unter den Fleißigen
aus.
Es gibt nun zahlreiche weitere Empfänge, darunter den der
Unternehmerverbände, des Hotel- und Gaststättenverbandes
und anderer Verbände.
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Das Jugendsinfonieorchester
des Konservatoriums unter Gabriel Zinke umrahmte gemeinsam mit
dem Oratorienchor der Oberkirche den Neujahrsempfang. Geistliche
Musik traf auf weltliche Gespräche - Redner brachen eine
Lanze für die Verknüpfung dieser kulturellen Ebenen.
Sie schauten dabei zum Altar, den die Gäste - im Rücken
hatten!
Nicht mit
dem Klammersack gepudert. - Matthias Platzeck, klares Bekenntnis
zur Braunkohle beim Empfang des Lausitzer Handwerks Fotos:
Gabi Grube
Händedruck
zwischen Bürgermeistern: Weiterhin gutnachbarschaftliches
Miteinander versprechen sich Bernd Schulz (FDP), Peitz, und Holger
Kelch (CDU), Cottbus
Foto: Haberland
Internationales
Flair beim gestrigen Neujahresempfang des Finanzgerichtes: Yi-Cheh
Chiu, Direktor der Wirtschaftsabteilung Taipeh der Vertretung
in der Bundesrepublik Deutschland war mit seiner Gattin Gast im
Hause vom Gerichtsdirektor Dr. Claus Lambrecht (v.r.n.l.) Foto:
Bernd Weinreich
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Ort der Toleranz, nicht nur im Herbst 89
Bezogen auf den Kommentar Im Angesicht des Heilands,
der letzte Woche Bedenken gegenüber politischen und geschäftlichen
Veranstaltungen in Gotteshäusern formulierte, erreichte uns
gestern dieser Leserbrief:
Ich
war am Mittwochabend beim Neujahrsempfang in der Oberkirche dabei.
Und ich finde es richtig, dass die Stadt Cottbus ihren Auftakt
zum Jahr der Kultur und Wirtschaft in der Nikolaikirche, dem
ältesten, größten öffentlichen Gebäude
der Stadt, gab. Diese Kirche ist für alle offen und ein Ort
der Toleranz, an dem Hoffnungen und Sorgen zur Sprache kamen,
nicht nur im Herbst 1989. Es ging hier oft um der Stadt Bestes.
Auch am 16. Januar. Nun noch mit dem Ziel, Kultur und Wirtschaft
für die Stadt zu aktivieren, und zur Kultur der Stadt gehört
die Nikolaikirche. Man konnte es an diesem Abend mit dem wunderbaren
Konzert erleben. Die Kirchgemeinde hat ihre Gastgeberschaft nicht
missbraucht. Kein Atheist wurde vereinnahmt, und selbst die Sitzordnung
war dem Altar ab- und dem Chor und Orchester zugewandt. Bei diesem
Empfang konnte ohne Scheuklappen und Tabus über das Wohl
der Stadt und ihrer Menschen gesprochen werden. Ein gutes Signal
für die Zukunft! Manfred Stolpe
Manfred
Stolpe, Ministerpräsident und Bundesminister a.D. (l.), in
der Oberkirche im Gespräch mit Ehrenmedaillenträgerin
Rosel Küttner und Bürgervereinschef Peter Pollack (re.)
aus Sachsendorf
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