Cottbus.
Die Berliner Mauer ist von Cottbus etwa so weit weg, wie sie
einst lang war: Über 150 Kilometer lang zog sie sich durch
märkische Äcker, durch Kleingartenanlagen, aber auch
durch großstädtische Berliner Straßenschluchten.
Als 1999 der aus dem Allgäu stammende Archäologe, Kulturwissenschaftler
und später in Freiburg tätige Denkmalpfleger Leo Schmidt
die Forschung an dem vergessenen Baudenkmal aufnahm, tat er das,
weil die Berliner selbst froh waren, nicht mehr an diese Epoche
der Geschichte denken zu müssen. Völlig frei von Negativerlebnissen
und Propaganda-Prägungen konnte der frisch an der BTU (Lehrstuhl
Denkmalpflege) angestellte Professor mit einer englischen Kollegin
erkunden, welcher Zeitgeist hinter dem Bauwerk Mauer
steckte. Unbeleckt und unvoreingenommen, sagt er und
weiß, dass ihm das geholfen hat, die Vielschichtigkeit der
Sichtweisen zu erkennen. Er sprach mit einigen der einst 15 000-Mann
starken Grenztruppe und stieß auf tief vergrabene Traumata,
auf Erinnerungen an Drill und Verblendung. Für mich
ist ein Denkmalgebäude nur das Bühnenbild für ein
aufgeführtes Stück Zeitgeschichte, philosophiert
er und denkt dabei auch an seine Forschungen für historische
islamische Städte.
Es gab die Berliner Mauer als Medienereignis nur von der
westlichen Seite - von Osten war das Filmen und Fotografieren
nicht möglich! Einseitig verdreht waren auch die Begriffe:
Was als Hinterlandmauer bezeichnet wurde und Richtung Osten die
Grenze markierte, war die eigentliche Front dieses Schutzwalls.
Denn die Bedrohung lag bei Mauerbau 1961 ausschließlich
in der Abwanderung der Leute von Ost nach West. Filme des ehemaligen
DDR-Fernsehens, die der Mauerforscher im Presse-Café DoppelDeck
zeigt, illustrieren den stets anders herum ausgerichteten Propaganda-Mechanismus
noch in den 80er Jahre. Andere Ausschnitte verdeutlichen die unglaubliche
Erleichterung, als 1989 der Spezialbeton der Mauer, die baulich
ausgeklügelte Grausamkeit des Todesstreifens auf Souvenirformat
mit Echtheitszertifikat zusammenbröckelte. Und obwohl er
vehement dafür plädiert, die ehemalige europäische
Schmerzgrenze auf die Weltkulturerbeliste zu setzen (so wie den
Limes oder die chinesische Mauer), hat er auch für diese
in Tütchen gepackte Denkmaler-innerung Sympathien: Das
haben die Franzosen so ähnlich gemacht, als man die Mauern
der Bastille abtrug!
Mit Fotoapparat, Stift und Hammer erkundete er zusammen mit Mitarbeiter
Axel Klausmeier die baulichen Reste, die nur noch etwa ein Prozent
der ehemaligen Mauerlänge ausmachen.
Herausgekommen ist ein sehr praktisch brauchbarer Führer
für Mauerspuren der Hauptstadt, der die Ergebnisse der Auftragsarbeit
für den Berliner Senat zusammenfasst. Es sollte nicht
alles in Schubladen verschwinden - das wäre uns zu wenig
gewesen, erzählt der Schwabe. Erst kürzlich hat
die deutsche Forschungsgemeinschaft 360 000 Euro für die
Fortführung der Forschung bewilligt. Jetzt können Historiker
und Militärs in die Untersuchungen einbezogen werden. An
der Bernauer Straße soll das Denkmal einen würdigen
und historisch richtigen Erinnerungsort bekommen. Die Cottbuser
Forscher sind hierbei exzellente Berater. G.G.
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Denkmalpfleger
Leo Schmidt erstöbert die spannendsten Aspekte seines Mauerführers
mit Dr. Anke Kuhrmann, Moderatorin Gabi Grube und Henriette von
Preuschen im Presse-Café DoppelDeck (von links). Am Sonntag
sind seine Forschungen Thema in einer Matinee zum 50. Europa-Jubiläum
ab 11.15 Uhr im IKMZ an der BTU Foto:
Hnr.
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