Cottbus
(GHZ). Sonntag sind in Cottbus die Wahlbüros offen. Nach
vierjähriger Amtszeit sollen sich die Bürger für
oder gegen die Oberbürgermeisterin entscheiden. Karin Rätzel
erwartet und erhofft, dass nur wenige Cottbuser ihre Abwahl wollen.
Jürgen HEINRICH sprach mit ihr:
Seit Jahresanfang formiert sich die Abwahlfront gegen
Sie. Denken Sie an Rückzug?
K. RÄTZEL: Keinen Moment. Ich bin von den Cottbusern
gewählt. Ich hatte zu keiner Zeit die Vorstellung, dass die
Aufgabe leicht sein könnte bei dem schlimmen Erbe, das die
Vorgängerschaft hinterlassen hat. Ich werde meinen Amtseid
erfüllen und für die Stadt auch künftig hart arbeiten.
Ich hoffe, dass die Bürger mir dabei weiter vertrauen.
Sie haben Zwischenbilanz gezogen und dabei neue Arbeitsplätze
herausgestellt. Wieviele sind es?
K. RÄTZEL: Mehr als 2 000 seit meinem Amtsantritt.
Schon 2002 kamen 300 Leute bei der Kontenklärung für
ehemaligen DDR-Bürger unter, dann glück-te uns die Ansiedlung
der 650 Arbeitsplätze der Mini-Job-Behörde, weil wir
mit beherztem Handeln der Verwaltung überzeugen konnten.
Die Ansiedlung der Hauptverwaltung von Vattenfall war und bleibt
ein Ereignis, das Cottbus als Platz mit nationaler Bedeutung in
der Energiewirtschaft gefestigt hat. Und auch die Entwicklungs-Gesellschaft
Cottbus - EGC - hat in schwieriger Situation immerhin 700 Arbeitsplätze
ansiedeln können. Wir werden mit der EGC noch erfolgreicher
sein, obwohl sich die Rahmenbedingungen eher verschlechtern. Alle
Cottbuser können uns helfen, indem sie Positives ausstrahlen
aus unserer Stadt.
Dazu bietet sich gerade ein Stadtjubiläum an.
Sind Sie mit dem Erlebten zufrieden?
K. RÄTZEL: Wir sind sehr gut gestartet in dieses Jahr:
Festkonzert, ökumenischer Gottesdienst, gemeinsamer Empfang
mit den Kammern in der Stadthalle - das waren Ereignisse, die
den Gemeinschaftssinn gefördert haben. Wir wollten die gute
Grundstimmung der BuGa-Zeit erneuern, und das ist teilweise auch
gelungen. Leider ist der Trend dann von einigen Leuten empfindlich
gestört worden, die fast alles schlechtreden, was mit Mühe
erreicht ist. Aber zum Festumzug und beim Stadtfest war die Stimmung
wieder grandios. Da war Cottbus eine große Familie. Ich
war stolz auf meine Stadt, als begeisterte Gäste mit uns
den Festumzug erlebten
Sie trauern dem ECE, das sich aus seinen Cottbus-Projekten
zurückgezogen hat, nicht nach?
K. RÄTZEL: Die Stadtverordneten-Mehrheit hat uns als
Verwaltung ja verpflichtet, ein modifiziertes City-Projekt der
ECE zu begleiten. Das ist verantwortungsbewusst bis zur Baugenehmigung
geschehen. Das Hamburger Unternehmen zog sich aber im entscheidenden
Moment des möglichen Baubeginns zurück.
Der Stadtumbau blieb trotzdem in Gang.
K. RÄTZEL: Er ist unser entscheidender Führungsschwerpunkt.
Für den behutsamen Stadtumbau ist das erste wirklich qualifizierte
Konzept unter meiner Leitung entstanden und vor der Landesregierung
erfolgreich verteidigt worden. Gemeinsam mit den großen
Wohnungsgesellschaften und gestützt auf die wissenschaftliche
Kompetenz der BTU haben wir Planungen vorgelegt, die uns den schnellen
Zugriff auf Fördermittel ermöglichen.
Wie bewerten Sie den Stand des Stadtumbaus heute?
K. RÄTZEL: Jeder kann in Sachsendorf sehen, wie sich
eine Stadtteil verändert hat. Wo eine Kaufhallenruine stand,
haben wir das neue Forum. Wohnquartiere sind schmuck geworden,
die zentrale Allee ist neu gestaltet. Aber auch in der Willy-Brandt-Straße
in Sandow ist ein schönes Handelszentrum entstanden, statt
maroder Kaufhallen gibt es in den Stadtteilen Nahversorgungszentren.
Jetzt beginnt der Umbau gerade in Schmellwitz.
Der wichtigste Erfolg ist uns aber in der Altstadt geglückt.
Vorbei ist der Streit um jeden Stuhl auf dem Altmarkt, die Gängelei
der Gastronomen. Das Amt hielt sich an eine Architektenfloskel,
nach der die Leere des Platzes wirken sollte. Ich
habe die Sache gleich in die Hand genommen. Der schönen Mosquito-Idee
verhalf ich unbürokratisch zum Durchbruch und so wurde dieses
Haus zum Initialort für den belebten, herrlichen Altmarkt,
wie wir ihn heute kennen und lieben. Auch die Straßen zum
Markt hin haben von der Belebung profitiert.
Lange diskutiert wurde über ein Bäderzentrum.
Ist das jetzt entstehende die beste Lösung?
K. RÄTZEL: Es gab da viele unterschiedliche Aktivitäten.
Jetzt wächst die private Investition zügig. Die Stadtverordneten
haben an diesem Objekt festgehalten und in diesem Falle trotz
mancher Ungereimtheit zu mir gehalten. Hier haben wir eine gute
Sache auf den Weg gebracht, ebenso übrigens wie mit dem Ausbau
des Dieselkraftwerkes zum Kunstmuseum.
Nur das Kino fehlt noch in der Erfolgskette.
K. RÄTZEL: Da holperts beim Investor. Aber immerhin
haben wir das Kino Weltspiegel und dort die Option,
das schöne Haus durch Saalanbauten aufzuwerten. Ich spüre
immer mehr, auch an den Reaktionen der Bürger, wie wichtig
es ist, Projekte, die Cottbus unverwechselbar machen, zu nutzen.
Das ist wichtiger als jeder Schnellschuss auf der Grünen
Wiese.
Es hat den Anschein, als würde die Qualität
der Stadtpolitik ausschließlich an drei oder vier Großprojekten
gemessen. Ist das richtig?
K.RÄTZEL: Man kann die Entwicklung der Stadt nicht an
Einzelprojekten festmachen, schon gar nicht die Qualität
der Führung. Ich verwende mindestens die Hälfte meiner
Zeit für die Ausgestaltung der Verwaltung. Alles Geschaffene
gelingt nur mit hohem persönlichem Einsatz vieler hochmotivierter
Mitarbeiter, zumal lange Schatten der Vergangenheit zu bewältigen
waren und sind.
Sie meinen die Stadtwerke-sanierung?
K. RÄTZEL: Die auch. Aber da wir über den Zeitraum
von vier Jahren reden, muss ich daran erinnern, dass unsere GWC
2002 vor der Insolvenz stand. Die Costar hatte im Sommer 2005
den gleichen Zustand erreicht. Ich will Herrn Dr. Bialas als Vorsitzenden
des Costar-Aufsichtsrates gern zugestehen, dass er das gar nicht
mitbekommen hat und er deshalb immer von Lüge
redet. Aber in der Wirtschaft, auch der kommunalen, sprechen Bilanzen
eine unmissverständliche Sprache.
Fachleute, zum Beispiel von Sal.Oppenheim, sprechen
von einem großen Erfolg bei der Stadtwerke-Sanierung, ihre
Gegner aber von verbranntem Geld. Was ist richtig?
K. RÄTZEL: Es gilt einfach, Ursache und Wirkung auseinander
zuhalten. Die Stadtwerke-Misere gehört zu den übernommenen
Lasten, der gegenwärtige Zustand zu den Erfolgen hervorragender
Arbeit von Fachleuten im Land, in der Stadt und durch die Sanierer.
Zu den öffentlichen Peinlichkeiten gehört, dass Aufsichtsratsmitglieder
klagen, sie seien nicht informiert gewesen. Es ist
ihre Pflicht, sich selbst zu informieren. Sie sind keine unmündigen
Erfüllungsgehilfen, sondern eben Aufsichtsräte.
Aber Sie selbst hatten ja auch
nicht immer ausreichenden Wissenstand.
K. RÄTZEL: Ja, wegen der untauglichen Zuarbeit der Geschäftsführung.
Da waren Konsequenzen erforderlich, die ich auch durchgesetzt
habe.
GWC, Costar, Stadtwerke - überall Insolvenzbedrohung.
Ist die Kommune ein untüchtiger Gesellschafter?
K. RÄTZEL: Die Stadt muss wie ein privates Unternehmen
gedacht und geführt werden. Mit einer guten Führungsmannschaft
arbeite ich daran. Und wenn ich eines Tages - nicht diesen Sonntag
- aus dem Rathaus gehe, will ich auf keinen Fall Trümmer
hinterlassen, wie ich sie vorgefunden habe.
Die Abwahlstimmung war teilweise würdelos. Glauben
Sie, dass die Zusammenarbeit mit den Fraktionen trotzdem wieder
möglich ist?
K. RÄTZEL: Die Abgeordneten sind von den Bürgern
gewählt wie ich. Sie haben in den jeweiligen Parteien oder
Vereinen Wahlprogramme, und da werden sie wohl mal hineinsehen,
was da steht.
Sie sehen keine definierbaren Steine
die da aus dem Weg zu räumen sind?
K. RÄTZEL: Die Zeit hat uns doch gezeigt, dass der Sinneswandel
gegen mich im Januar nichts mit meinen Arbeitsergebnissen zu tun
hatte und auch nicht mit denen der Stadtverordneten. Es gibt eine
kleine Gruppe, die sich ungerecht behandelt fühlt. Deren
Aktionismus hat - das ist das Gute dieser im ganzen lähmenden
Periode - manchem die Augen geöffnet über das, was ich
vor Jahren mafiös in Cottbus nannte. Ich vertraue
auf sehr viel Vernunft an der Basis.
Danke für das Gespräch
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