Cottbus
(sp). Der 9. November 1989 - der Tag der Maueröffnung. Schon
lange brodelte es im Land, doch die Öffnung der abgeriegelten
Grenze war für alle eine große Überraschung. Vergessen
scheinen unterdessen oft die Verhältnisse davor, aber auch
die bewegenden Ereignisse selbst. 16 Jahre danach erinnern sich
vier Cottbuser dieses Tages und formulieren, was sie mit dem Verschwinden
der DDR verbinden.
Farbe ins Grau gebracht
Mit der rätselhaften Botschaft Schabowskis hatte die Diktatur
für den damaligen Studenten ihre Zähne verloren,
ganz neue Perspektiven brachten Farbe ins Land. Am nächsten
Tag ist er mit Familie nach Berlin gefahren. Es war eine
intensive Zeit, eine heitere, ausgelasse Stimmung und eigenartige
Atmosphäre. Ganz fremde Leute kamen ins Gespräch,
gefüllte Kirchen, Blechlawinen in Richtung Berlin. Eine Ostalgie
kommt für Mathias Blume nicht in Frage. Diktatur mit eingeschränkter
Freiheit, Gewaltbereitschaft der Führung - das sind schlimme
Erfahrungen. Die Demokratie schätzt der Pfarrer als sehr
hohes Gut. Traurig sei allerdings, dass so viele Menschen mit
ihrer Arbeit nicht mehr gebraucht werden.
Die machen unsere DDR kaputt
Aus einer Familie von Widerstandkämpfern gegen NS-Diktatur
und typisches DDR-Kind war Frau Hiekel vor der Wende
beim Demokratischen Frauenbund beschäftigt. Wie viele Cottbuser
hat sie von der Öffnung durch das Fernsehen zu Hause erfahren.
Der erste Gedanke: Die machen uns die DDR kaputt, für
die ich gelebt und gerbeitet habe. Am nächsten Tag
waren die Betriebe leerer als sonst, doch das alltägliche
Leben ging weiter. Das Gefühl entwurzelt zu sein, hat rund
zehn Jahre angehalten. Nach einer harten Phase der persönlichen
Aufarbeitung ist die heute noch sehr engagierte Angestellte in
der Bundesrepublik angekommen. Wenn sie heute Dokumentationen
sieht, ist sie nachdenklich, warum man die großen Missstände
so hingenommen hat. Auf keinen Fall soll das wiederkehren!
Ein Gefühl wie zu Weihnachten
Der erste Eindruck als Kind war für Madeleine Steinert die
Distanz der West-Berliner, als sie, wie viele Cottbuser, mit den
Eltern nach Berlin fuhr und dabei die Schule schwänzte. Man
wurde ja gleich erkannt. Super spannend der Supermarkt mit
den bunten Waren! Auch hier in Cottbus wurden später die
Geschäfte umgebaut und grell befüllt. In der Familie
wurde damals viel über die politischen Ereignisse gesprochen
und über Ausreise nachgedacht. Ein Nachdenken über eine
Rückkehr zu alten Verhältnissen spielt in ihrem aktuellen
Leben keine Rolle.
Sieg der Konterrevolution
Für Erwin Erfurth, Angehöriger der kommunistischen Plattform,
war der Tag eine bittere Entäuschung und sehr traurig. Die
Grundlage seines gesamten Lebens und Wirkens als Lehrer und Wissenschaftler
brach weg. Die DDR ist für ihn nach wie vor die größte
Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung. Nicht eine
friedliche Revolution sei es gewesen, sondern eine Konterrevolution
- die Wiederherstellung der voherigen Besitzverhältnisse.
Und die Errungenschaften? - Man hat zwar die Freiheiten, kann
sie aber kaum nutzen, wenn das Geld fehlt. Auch die Solidarität
fehlt - das ist doch ein Jeder- gegen-Jeden.
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Mathias
Blume,
Jg.
1965, Superintendent in Cottbus,
war 1989 in Berlin
Madeleine Steinert,
Jg.
1976, Studentin der BTU
Sabine Hiekel, Jg. 1963 Gleichstellungsbeauftragte der Stadt
Cottbus
Erwin Erfurth,
geb. 1936
ist Rentner und war früher Lehrer
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