Cottbus
(MB). Derart entfesselt haben sich die Elemente kaum je auf einer
Bühne ausgetobt. Das Wasser pladdert über die Planken,
Gischt schäumt, Sturm peitscht und heult, Nebelfetzen treiben,
und wenn alles endet, fliegt manchmal eine Taube von rechts nach
links. Aber auch dann noch bleiben diese Menschen aufgewühlt,
gehetzt, misstrauisch, zerrissen.
Hart im Norden erzählt Theodor Storm (1817-1888) in seinem
Spätwerk, alle Lebenserfahrung bündelnd, seine Zuspitzung
einer Geschichte, die sich immer und überall wiederholt.
Menschen können sich nicht einig werden und verhärten,
die Sache vergessend und letztlich zerstörend, Fronten gegeneinander.
Manchmal bleibt sowas harmlos, zum Beispiel wenn Cottbuser Innenstädter
an ihrem nie entstehenden Deich rumkrümeln, manchmal
gehts ans Existenzielle, wenn sich Lausitzer um Dörfer
gegen Kohle stemmen. Da oben am Meer geht es um alles - Leben
oder Tod. Auch ums Recht haben und dafür sterben. Mit Sinn?
Wer vermag das so einfach zu beurteilen? Die nie ausgesprochenen,
die gefühlten Argumente der Dörfler hinterm Deich -
wer vermag sie zu wichten und gegen die des Hauke Haien zu wägen?
Die Welt ist verworren und voller ungelöster Rätsel,
zumal wenn die Apokalypse leibhaftig referierend auf der Bühne
erscheint.
Mario Holetzeck hat ein unglaublich komplexes Bühnenwerk
geschaffen, in dem Texte und tosende Stürme verschmelzen,
in dem dröhnende Technik und übersteuertes Schlagwerk,
Cello und Klavier zu mysteriös menschengemachter Naturbedrohnis
verschmelzen. Ganz einfach hingegen, wie hilflos, sind die Figuren
gezeichnet. Schlichte Menschen frei von Pathos, naiv und manchmal
dreist die Dörfler, weltvergessen unfähig der Mächtige,egozentrisch
der erfinderische Held. Es sind Charaktere aus dem Heute, sie
sind überfordert von Normalem: Sturm, Wind, Gesetz, Moral.
Kai Börner ist dieser Ehrgeizling. Ein Weltverbesserer ohne
Volksauftrag. Er gibt ihm fahrige Züge eines Überstudierten,
eines Wegsehers, dem Gutes zu Schädlichem missrät. Hier
in diesem Bühnen-Storm von John von Düffel geht er in
den Freitod, weil er, immer eifernd, Schuld wird an Elke Volkerts
(Johanna Emil Fülle) Untergang. Dieses Paar, das sich deichrechnend
findet, gehört zu den schönsten Turteltäubchen
der Bühnenliteratur, jedenfalls in hier gegebener Weise.
Da bremst nordsichere Kühle, ohne die Glut zu verbergen.
Elke Volkerts
(Johanna Emil Fülle, 2.v.r.), die Tochter des Deichgrafen,
begegnet den Dörflern
Geniale Bilder baut Holetzeck zwischen Priel und Koog von Gundula
Martin (spektakulär!), so die irgendwie jenseitige Figur
derApokalypse der kleinen Lara Brewing oder das Schiffchenspiel
des alten Volkerts von Michael Krieg-Helbig. Deftige Volkstypen
beharren auf Gewohnheitsrecht. Neue Deiche? Spinnerei! Manchmal
ist das atemberaubend. Es gibt viel Beifall, Bilder bleiben haften.
Nächste Termine: 13. und 26. Dezember. J. Heinrich
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Sie stemmen
sich gegen die Gewalten der tosenden See - in der Mitte der Dörfler
hinterm Deich, der neue Deichgraf und Weltverbesserer, Hauke Haien
(Kai Börner) Fotos:
M. Kross
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